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Das Trauerbuch für Eltern

Was Müttern und Vätern nach dem Tod ihres Kindes geholfen hat. Mit einem Interview mit Verena Kast.

AutorSilia Wiebe, Silke Baumgarten
VerlagKösel
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783641187323
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Wenn es scheinbar keinen Trost gibt
Die beiden Autorinnen wissen wie es ist, ein Kind zu verlieren. Gemeinsam schrieben sie das Buch, das sie sich selbst gewünscht hätten, als sie um ihr Kind trauerten. Dieses Buch holt betroffene Eltern in der absoluten Ausnahmesituation ab. Es beschreibt auch anhand von sehr persönlichen Berichten anderer Eltern viele Möglichkeiten, mit diesem Schicksal umzugehen und den eigenen Weg aus der Trauer zu finden. Die renommierte Psychologin Verena Kast erklärt zudem die typischen Trauerphasen und beschreibt, wie Angehörige und Freunde trauernde Eltern am besten unterstützen können.
  • Wahre Geschichten, die zum Weiterleben ermutigen
  • In Zusammenarbeit mit der bekannten Trauerexpertin Verena Kast


Silia Wiebe, geboren 1977, ist freie Journalistin (u.a. bei Chrismon, Stern und Brigitte), Dozentin an der Akademie für Publizistik in Hamburg und schrieb einen Erzählband über die Beziehungen von Müttern und Töchtern. Nachdem sie zwei Kinder in der späten Schwangerschaft verlor, schrieb sie zusammen mit der Journalistin Silke Baumgarten ein Buch für und über verwaiste Eltern.

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Leseprobe

Mir war wichtig, gleich wieder zu arbeiten

Die schwere Stoffwechselstörung, an der Lukas litt, wurde kurz nach seiner Geburt diagnostiziert. Er starb mit sieben Jahren – und lebte damit viel länger, als die Ärzte prognostiziert hatten. Trotzdem kam sein Tod für seine Familie unerwartet. Seine Mutter Carola Gruchatka-Denien aus Sittensen bei Hamburg erzählt.

Als es klingelte und ich durch die Glasscheibe in unserer Haustür Lukas’ Lieblingsbetreuerinnen erkannte, wusste ich sofort: Jetzt ist es passiert.

Dabei ist Lukas am Morgen topfit gewesen. Seine Sternenaugen haben gelacht, als ich mich mit ihm auf dem Arm zum Abschied im Kreis gedreht habe. Das machte ich immer, das war unser Ritual, das liebte er. Und ich war beruhigt. Denn in der Woche vorher war er müder als sonst und ich hatte mich schon gefragt: Was ist los mit ihm? Brütet er etwas aus? Doch an diesem Morgen ging es ihm offenbar wieder gut. Er strahlte. Ich schob ihn in den Bus, schnallte ihn an. Dann vergaß ich allerdings etwas sehr Wichtiges. Immer sagte ich zum Abschied zu ihm: »Und mach keinen Blödsinn.« Nur an diesem Morgen sagte ich das nicht.

Beim Mittagsschlaf in der Schule ist es passiert. Er war erst kurz vorher eingeschult worden, sein Bett stand im Klassenzimmer der Sonderschule. Plötzlich sei sein Arm einfach zur Seite gerutscht, erzählten die beiden Kinderkrankenschwestern, die Lukas schon aus der Kita kannten. Sie waren zu uns geschickt worden, weil sie Lukas besonders ins Herz geschlossen hatten und fast zu einem Teil unserer Familie geworden waren.

Ich hockte im Türrahmen. Eine Betreuerin kümmerte sich um Laura, Lukas’ Zwillingsschwester. In mir nur Schmerz. Und zwei Gedanken, sofort, gleichzeitig. Erstens: Mir wird ein riesiger Rucksack von den Schultern genommen. Und zweitens: Da, wo Lukas jetzt ist, da geht es ihm gut. Das war für mich ganz klar. Denn wenn es ihm nicht gut ginge, würde ich es spüren. Mein Bauchgefühl würde es mir sagen. Und dass ich mich auf mein Bauchgefühl verlassen kann – das hatte ich mit Lukas gelernt.

Bei der Geburt schien alles noch normal. Lukas hatte, genau wie seine Zwillingsschwester Laura, gute Werte. Und er sah genauso süß aus wie sie, mit seinem blonden Haar und einer unglaublich weichen Haut. Aber ich merkte bald, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmt. Er trank nicht gut, schlief immer wieder ein, wenn ich ihn stillte. Und er war sehr lichtempfindlich, konnte einen nicht angucken. Als ich mit ihm zum Augenarzt wollte, musste ich mich allerdings erst mal mit der Kinderärztin streiten. Sie meinte, wir sollten noch abwarten. Aber ich ließ nicht locker, vertraute das erste Mal als Mutter auf mein Bauchgefühl.

Leider hatte ich recht. Der Augenarzt stellte fest, dass Lukas auf beiden Augen grauen Star hatte. Und dann nahm alles seinen Lauf. Zweimal musste er operiert werden, erhielt künstliche Linsen. Dann bemerkten wir, dass Lukas schlecht hören konnte. Er bekam Hörgeräte. Dann stimmten seine Blutwerte nicht. Monatelang waren wir mit ihm in verschiedenen Krankenhäusern. Und nach fast einem Jahr und fürchterlich vielen Untersuchungen stand fest: Lukas konnte Kupfer nicht richtig verwerten. Es war nicht das Menkes-Syndrom, aber wohl eine Unterform davon.

Mit der Diagnose lieferten uns die Ärzte die Prognose gleich mit. Ich weiß gar nicht, ob wir das hätten wissen wollen. Aber wir wurden auch nicht gefragt. Lukas wird höchstens zwei bis drei Jahre alt werden, sagten die Ärzte.

Klar, in so einem Moment begräbt man einen Traum. Den Traum von gesunden Kindern und einer kompletten Familie. Aber wir hatten gar keine Zeit, Luft zu holen oder uns groß Gedanken zu machen, es ging ja sofort weiter. Lukas war ständig krank. Insofern gab es für meinen Mann und mich eigentlich nur: Augen zu und durch. Nicht im Sinne von irgendwie, sondern im Sinne von: Wir versuchen das Beste daraus zu machen. Traurigkeit kam eigentlich nur auf, wenn wir völlig erschöpft waren, wenn die Müdigkeit zu groß und die Kraft zu klein schien.

Von Anfang an, gleich nach der Diagnose, habe ich überlegt: Wofür willst du jetzt deine Kraft geben? Für den Ärger, die Wut und die Trauer, dass es nicht so ist, wie du es möchtest, wie du es dir vorgestellt hast? Oder willst du deine Kraft darauf verwenden, für beide Kinder so da zu sein, dass sie möglichst glücklich sind. Und das war das, was wir uns vorgenommen hatten, das war das oberste Gebot von meinem Mann und mir – schon als wir uns für Kinder entschieden hatten. Natürlich war uns klar: Das können wir nicht jeden Tag schaffen. Aber wir können eine gesunde Basis dafür schaffen.

Lukas baute rapide ab. Er verlernte wieder sich zu drehen, konnte nicht mehr richtig schlucken und hatte – bevor er eine Magensonde bekam – eine Lungenentzündung nach der anderen. Immer wieder mussten wir mit ihm ins Krankenhaus. In unserem schlechtesten Jahr, 2003, verbrachten wir insgesamt 30 Wochen in der Klinik. Oft ging es nachts mit Notarzt los. Planen konnten wir gar nichts mehr.

Die Standardfrage unserer Tochter lautete: Und wer passt heute auf mich auf? Ohne unsere Familie und meine beste Freundin hätten wir das nie geschafft. Da konnte ich jederzeit anrufen, und mein Vater und seine Frau kamen auch mitten in der Nacht, wenn wir mal wieder plötzlich losmussten.

Doch egal, was mit Lukas war: Mindestens eine Stunde am Tag haben mein Mann oder ich uns für Laura frei gehalten, eine Stunde, in der sie einen von uns ganz für sich allein hatte. Mehr ging manchmal nicht, aber diese eine Stunde, die musste sein.

Als Laura älter war und es ihrem Bruder wieder einmal sehr schlecht ging, fragte sie mich direkt: »Muss Lukas sterben?« »Ja«, habe ich geantwortet, »viel früher, als wir es möchten. Er ist sehr krank und irgendwann wird seine Kraft nicht mehr ausreichen für dieses Leben hier.« Sie hat geweint und ich habe versucht sie zu trösten, habe ihr gesagt, dass wir alles dafür tun, damit es ihm möglichst gut geht. Dass es aber trotzdem immer wieder Momente gibt, in denen er leidet und wir es leider nicht ändern können. Dass eben nicht alles in unserer Hand liegt.

Eine Freundin sagte mal: »Irgendwie ist es doch ungerecht. Mit zu wenig Liebe kann man Kinder krank machen. Aber mit ganz viel Liebe kann man sie nicht gesund machen.« Das habe ich meiner Tochter natürlich nicht gesagt. Aber daran gedacht habe ich häufiger.

Als Lukas vier war, hörte ich von Dr. Gennnadij Romanov. Er ist leitender Arzt am Zentrum »Rehabilitation des Kindes« in St. Petersburg und arbeitet mit fernöstlichen und westlichen medizinischen Ansätzen. Ab und zu kommt er nach Deutschland, um sich Kinder anzuschauen und zu entscheiden, ob sie für seine Therapie geeignet wären. Ich organisierte einen Termin. Er kannte nur Lukas’ Namen, machte chinesische Augendiagnostik – und erzählte mir detailliert, was wir in den letzten vier Jahren erlebt hatten. Das war wirklich erstaunlich. Bei diesem Arzt hatte ich sofort ein gutes Bauchgefühl. Er sagte, er bräuchte drei Monate mit Lukas in St. Petersburg. Natürlich ginge es nicht um Gesundwerden, sondern um Stabilisierung. Aber wie sollten wir das bezahlen? Ich schrieb Stiftungen an, wir sammelten mit selbst gemalten Plakaten Spenden, unsere Kirchengemeinde engagierte sich. Und innerhalb von zwei Monaten hatten wir 30 000 Euro zusammen. Diese Hilfsbereitschaft hier im Ort, die tat gut. Der Pastor hat das Geld verwaltet und uns auch ansonsten sehr unterstützt – ich habe durch Lukas wirklich viele unglaublich tolle Menschen kennengelernt.

Im Frühjahr 2005 flogen wir nach St. Petersburg. Die ersten vier Wochen war ich mit Lukas dort, dann kam mein Mann, der seinen Jahresurlaub dafür einsetzte, und dann habe ich ihn wieder abgelöst. Ich weiß nicht warum und wieso, aber Lukas wurde durch die Therapie von Dr. Romanov viel wacher. Er lachte mehr, sein wunderschönes Sonnenstrahllachen, seine Lungen wurden kräftiger. Es war wirklich fast ein Wunder: Nach der Zeit in St. Petersburg mussten wir nur noch zweimal mit ihm ins Krankenhaus. Dieser Arzt schenkte uns zwei Jahre Lebensqualität.

Kurz vor seinem siebten Geburtstag wurde Lukas eingeschult. Wie fit er geistig war, wie viel er verstanden hat, das wissen wir nicht. Aber dass er etwas verstand, zeigte er zum Beispiel wenn jemand fragte: »Wer will noch Eis?« Dann schoss sein Arm als erster nach oben. Er wurde ja eigentlich durch die Sonde ernährt, aber ab und zu ein bisschen Eis, das musste sein.

Wir wussten ja, dass es keine Hoffnung gab für Lukas. Insofern waren wir vielleicht anders vorbereitet als Eltern, die ein Kind durch einen Unfall oder eine plötzliche Krankheit verlieren. Aber andererseits war uns auch nicht ständig präsent, dass er sterben könnte. Er lebte ja schon viel länger, als die Ärzte prognostiziert hatten. Und es ging ihm gut – das jedenfalls war mein Eindruck, auch an diesem Tag.

Mir war allerdings immer klar, dass Lukas nicht zu Hause sterben wird. Ich weiß zwar nicht, ob und wie wir auf unseren Todeszeitpunkt Einfluss nehmen können. Aber ich war mir sicher, dass er uns würde schonen wollen, indem er woanders starb. Und ich bin ihm dankbar dafür, dass er nicht in der Klinik gestorben ist, dass wir nichts entscheiden mussten. Manchmal, wenn es Lukas sehr schlecht ging, habe ich zu ihm gesagt: »Du bestimmst, wann es für dich nicht mehr geht. Das Allerletzte was ich möchte, ist, dass du dich quälst.«

Als es am 17. September 2007 an unserer Haustür klingelte und die beiden Kinderkrankenschwestern vor der Tür standen, saßen Laura und ich gerade beim Mittagessen....

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