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E-Book

Achtsamkeit und Schmerz

Stress, Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen und Schmerz wirksam lindern

AutorClaus Derra, Corinna Schilling
VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783608107661
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Beim E-Book stehen die Audio-Dateien als Download bereit. Mit Achtsamkeitsübungen richtig angewandt lassen sich (chronische) Schmerzen wirkungsvoll und nachhaltig behandeln. Das Buch mit der dazugehörigen CD liefert ein Repertoire an Hilfestellungen und einfachen Übungen, die Betroffenen ein gutes Leben trotz Schmerz ermöglichen. Zusatzmaterialien stehen als Download bereit (PDF). Wissenschaftliche Studien belegen, dass Achtsamkeitsübungen längerfristig wirksamer sind als Schmerzmittel. Darüber hinaus lindern und bessern sie Symptome, die oft mit Schmerzen einhergehen, wie Niedergeschlagenheit, Schlaflosigkeit, Erschöpfungszustände und Unkonzentriertheit. Alltagstaugliche Achtsamkeits- und Entspannungsübungen sind einfach anwendbar und beanspruchen wenig Zeit. Sie werden in den persönlichen Alltag integriert, beispielsweise könnte man sie an der Bushaltestelle oder morgens beim Zähneputzen durchführen, manche im Sitzen, andere im Stehen. Dem Buch zugrunde liegen ein neu entwickeltes biopsychosoziales Gesundheitsmodell sowie ein neues Konzept einer Verbindung von Achtsamkeit mit gezielten Imaginationen und Autosuggestionen. Gliederung: I. Achtsamkeit, Gesundheit und gutes Leben - Was bedeutet Gesundheit? - Körperliche Gesundheit (Bewegung, Stressabbau, Ernährung, Schlaf) - Psychosoziale Gesundheit (Bedeutung von Beziehungen, Umgang mit  Konflikten, Selbstwertgefühl) - Gutes Leben - was ist praktisch wichtig - Gutes Leben - 37 Minuten täglich - Tagebuch Gutes Leben - 15 Momente die zu beachten sind - Alltagsstrategien der Achtsamkeit (täglich, kleine Momente, integriert in ein Ritual)   II. Körperschmerz - Seelenschmerz - Stresskrankheit chronischer Schmerz - Warum Schmerz immer im Gehirn entsteht - Warum leiden Frauen 3x häufiger unter Schmerz als Männer - Wie Stress chronische Schmerzen macht (stressbedingte Hyperalgesie) - Was kann ich vom Arzt/Therapeuten erwarten - was muss ich selbst tun?   III. Gutes Leben und chronischer Schmerz - Was kann ich verbessern, wer kann helfen - Habe ich die Wirksamkeit meiner Schmerztherapie ausgeschöpft - Therapie alleine reicht nicht - gutes Leben bedeutet mehr - Wirksamer Stressabbau   Dieses Buch richtet sich an: - Betroffene und Angehörige - PsychologInnen und ÄrztInnen - Angehörige Medizinischer Fachberufe

Claus Derra, Dr. med., ist Arzt und Diplom-Psychologe, Facharzt für Psychiatrie, psychosomatische Medizin und Psychotherapie mit dem Spezialgebiet Schmerztherapie, tätig in eigener psychotherapeutischer Praxis in Bad Mergentheim und Berlin.

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Leseprobe

2 Körperschmerz – Seelenschmerz


Die Frage der Ursachen und der Behandlung von Schmerzen beschäftigt die Menschen schon mehrere Tausend Jahre. Die Kräutermedizin fand unter anderem Mohn (Opium), Weidenrinde, Teufelskralle, Pestwurz, Hanf, Pfefferminze, Eukalyptus und Capsaicin zur Schmerzlinderung. Medizinmänner und Schamanen verwendeten, je nach kulturellem Hintergrund, Einreibungen, hypnotische Suggestionen, Akupunktur, Gesänge, Tänze, Trommeln und Räucherungen. Bei solchen Ritualen waren sowohl die körperlichen Reaktionen wie auch die seelische Beeinflussung wichtig. Aufmerksamkeitslenkung und Bewusstseinsabsenkung in Trance waren wesentliche Wirkfaktoren.

Der Kirchenlehrer Thomas von Aquin beschrieb im 13. Jahrhundert Schmerzen als Strafe Gottes für begangene Sünden und Verfehlungen, und die katholische Kirche hatte folgerichtig als Therapiemöglichkeiten anzubieten: beten, beichten und Ablass zahlen. Menschen mit chronischen Schmerzen wurden schon im Mittelalter umfänglich zur Kasse gebeten. Dieses Phänomen hat sich bis in unsere Zeit, jetzt durch andere Personen und Institutionen, fortgesetzt. Auch heute sind die schmerzgeplagten Patienten oft bereit viel Geld für etwas zu bezahlen, wenn ihnen dafür Schmerzlinderung versprochen wird. Dabei hatte Thomas von Aquin in seiner Schrift die Aufmerksamkeit schon damals auch auf ganz andere Hilfen gelenkt. Er zählte »fünf Heilmittel gegen Schmerzen und Traurigkeit«:

  • die Tränen,

  • das Mitleid der Freunde,

  • der Wahrheit ins Auge sehen,

  • schlafen,

  • baden.

Es ist bemerkenswert, dass er mit Schmerzen und Traurigkeit körperliche und seelische Dimensionen des Leidens gleichsetzte. Seine »Heilmittel« sprechen körperliche und seelische Hilfen an, gleichzeitig auch die hilfreichen Beziehungen zu anderen Menschen. Dies entspricht in einfacher Form einem bio-psycho-sozialen Krankheits- und Heilungsverständnis.

Das erste naturwissenschaftlich orientierte Schmerzverständnis wurde im 17. Jahrhundert von dem französischen Philosophen René Descartes entwickelt. Er beschrieb den Schmerz als Folge einer Verletzung oder Schädigung des Körpers. Die Wahrnehmung des Schmerzes würde über Nervenbahnen zum Rückenmark und von dort ins Gehirn zu einem Schmerzzentrum geleitet. Diese sehr körperbezogene Definition des Schmerzes prägt die medizinische Diagnostik und Behandlung bis in unsere heutige Zeit hinein.

Während es für uns heute selbstverständlich ist, Körper und Seele in einem Zusammenhang zu betrachten, mussten vor 100 Jahren solche Konzepte erst noch entwickelt werden. Sigmund Freud hatte zum seelischen Schmerz einige Überlegungen veröffentlicht, die psychosozialen Zusammenhänge wurden aber erst mit der weiteren Entwicklung der Psychoanalyse systematischer erfasst und verstanden. »Körperschmerz – Seelenschmerz« war der Titel eines Vortrages, den der italienische Psychoanalytiker Edoardo Weiss am 5. September 1932 beim 12. Internationalen Psychoanalytischen Kongress in Wiesbaden gehalten hatte. Obwohl Körper und Seele hier wie gleichwertig erscheinen, schwang das Pendel jetzt doch sehr auf die Seite der seelischen Zusammenhänge. Erst mit dem bio-psycho-sozialen Krankheitsmodell von George Engel begann die Entwicklung, diese drei Bereiche als gleichwertig zu betrachten (Engel 1977).

Akuter Schmerz versus chronischer Schmerz


Es ist für das Verständnis des Schmerzes zunächst wichtig, dass wir eine Unterscheidung zwischen akutem Schmerz und chronischem Schmerz vornehmen. Der akute Schmerz ist in der Regel ein Warnsignal, das uns sagt: »Vorsicht, irgendetwas ist nicht in Ordnung, du musst jetzt reagieren!« Dies kann sehr schnell geschehen, denn die Hand auf der heißen Herdplatte lässt kein langes Nachdenken zu, sondern erfordert sofortige Reaktion. Wenn wir morgens mit akuten Kopfschmerzen aufwachen, wird uns das nicht dazu bringen, sofort den Notarzt zu rufen – außer es handelt sich um einen extremen, vernichtenden Schmerz wie z. B. bei einer Hirnblutung. Wir überlegen zunächst, was los ist, ob wir solche Schmerzen schon einmal erlebt haben, ob wir am Abend vorher vielleicht ein Glas Wein zu viel getrunken haben, das Kopfkissen falsch gelegen hat oder was wir sonst als Ursache annehmen können. Dann entscheiden wir üblicherweise, ob wir uns selbst behandeln und eine Kopfschmerztablette nehmen oder ob wir zum Arzt gehen.

Akuter Schmerz als Warnsignal hat eine Schutzfunktion, die den Körper vor (weiterer) Schädigung bewahrt. Eine Verletzung der Hand schmerzt und wird verbunden, damit die Wunde nicht weiter blutet und kein Schmutz in die Wunde kommt. Dies ist für unser Überleben in früheren Zeiten existenziell wichtig gewesen. Für den akuten Schmerz hat die westliche Medizin heute gute und sehr wirksame Behandlungsmöglichkeiten. Schmerzmedikamente, Operationen, Wundversorgung und Behandlung von Knochenbrüchen sind in unserem Land auf hohem Niveau. Das Zertifikat »schmerzfreies Krankhaus«, das viele Kliniken anstreben, ist zwar zumeist sehr optimistisch gedacht, trifft aber den Kern, dass viele Behandlungen heute mit optimaler Schmerzlinderung durchgeführt werden können.

Chronischer Schmerz unterliegt anderen Gesetzmäßigkeiten. Er kann ganz verschiedene Ursachen haben und führt nicht zu einer sofortigen Reaktion. Oft ist der Körper nicht in dem Ausmaß geschädigt, wie es sich für den Patienten zunächst anfühlt. Bei vielen Formen des chronischen Schmerzes findet man anfangs vielleicht körperliche Veränderungen, im weiteren Verlauf nimmt jedoch der Einfluss psychosozialer Ursachenfaktoren zu. Dies ist schematisch in Abb. 2.1 dargestellt.

Abb. 2.1 Chronifizierung von Schmerzen

Wenn nun im Verlauf der Chronifizierung die Behandlung immer nur körperlich erfolgt, greift dies zu kurz. Die psychosozialen Einflussfaktoren halten dann den Schmerz aufrecht und führen zu weiterer Chronifizierung.

Herrn Wolfgang K. kennen Sie schon aus dem ersten Kapitel. Seine Rückenschmerzen wurden nach einem akuten Hexenschuss zunächst als Folge einer Schädigung seiner Bandscheiben angesehen. Er sei aufgrund seiner sitzenden Tätigkeit ein Risikopatient. Monatelang wurde er mit Spritzen, Massagen und Schmerzmitteln behandelt. Trotz dieser medizinischen Maßnahmen traten die Rückenschmerzen nach kurzer Linderung immer wieder auf. Er merkte eine zunehmende Hilflosigkeit, auch bei den Ärzten. Die akuten Schmerzen wurden körperlich jeweils gut behandelt, aber die Diagnostik und gleichzeitige Berücksichtigung psychosozialer Belastungsfaktoren fehlte. Als Frau K. ihren Mann einmal zur Untersuchung begleitete, berichtete sie dem Arzt, dass ihr Mann viele Sorgen und Konflikte am Arbeitsplatz habe, die sich zunehmend negativ auf das Eheleben auswirkten. Von einer Freundin, die in der Altenpflege arbeitet, habe sie gehört, dass es einen Zusammenhang zwischen Belastungen am Arbeitsplatz und Rückenschmerzen gebe. Durch die Ehefrau wurde somit einer der wichtigsten psychosozialen Chronifizierungsfaktoren benannt.

Warum Schmerz immer im Gehirn entsteht


Die Menschen gehen üblicherweise davon aus, dass die Stelle im Körper, die wehtut, auch der Ort ist, an dem sich das Schmerzgeschehen abspielt. Bauchschmerz im Bauch, Rückenschmerz im Rücken, Kopfschmerz im Kopf – ist logisch, oder? Vielleicht findet der Arzt bei der Untersuchung tatsächlich auch schmerzhafte Verspannungen, Druckpunkte, die wehtun, Probleme bei der Beweglichkeit o. Ä. Dennoch sollten wir uns klarmachen:

Jeder Schmerz, wo auch immer im Körper wahrnehmbar, entsteht letztendlich immer im Gehirn, sonst könnten wir ihn gar nicht wahrnehmen.

Vereinfacht gesagt, haben wir zwei Schmerzsysteme, eines für die Wahrnehmung und eines für die Verarbeitung von Schmerzen.

Das System für die Wahrnehmung des Schmerzes besteht in einer Schmerzleitung vom Schmerzort zum Gehirn. Der Schmerz wird über die Nervenendigungen in der Haut und im Gewebe registriert und als elektrischer Impuls über die Nervenbahnen ins Rückenmark geleitet. Dort wird der Impuls umgeschaltet. Diese Umschaltstelle wird auch als Schmerztor bezeichnet, da hier der Schmerz verstärkt (Tor ist...

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