In diesem Kapitel werden Leistungsbilanzsalden im Zahlungsbilanz- und Kreislaufzusammenhang verständlich gemacht und anschließend ihre Ursachen und Wirkungen einer Überprüfung unterzogen.
Die Leistungsbilanz umfasst vier Teilbilanzen: (a) Die Handelsbilanz (HB) erfasst die Importe und Exporte von Waren. (b) Die Dienstleistungsbilanz (DB) enthält die Importe und Exporte von Dienstleistungen wie Tourismus oder Transport. (c) Die Bilanz der Erwerbs- und Vermögenseinkommen umfasst neben den Arbeitseinkommen aus dem bzw. in das Ausland vor allem die grenzüberschreitenden Kapitalerträge aus Dividenden oder Zinsen für Kredite und Wertpapiere. (d) Die Bilanz der laufenden Übertragungen enthält wiederkehrende Transaktionen wie Zahlungen an die EU und UN oder Heimatüberweisungen von Gastarbeitern.[6] Der Saldo aus dem Waren- und Dienstleistungsverkehr entspricht dabei weitgehend dem Außenbeitrag in der Verwendungsrechnung des BIP (X – M).[7] Dieser Außenbeitrag kann als Primärleistungsbilanz (PLB) bezeichnet werden[8]:
PLB = HB + DB = X – M (1)
Vernachlässigt man die Bilanz der laufenden Übertragungen und erfasst die Bilanz der Erwerbs- und Vermögenseinkommen vereinfacht durch das mit einem einheitlichen Zinssatz r versehene Nettoauslandsvermögen (B-1)[9], folgt für den Leistungsbilanzsaldo (LB):
LB = PLB + r*B-1 = X – M + r*B-1 (2)
Demnach kann ein Leistungsbilanzdefizit auch bei einem positiven Außenbeitrag auftreten, sofern ein betragsmäßig höheres Defizit bei den Faktoreinkommen durch hohe Zinszahlungen an das Ausland besteht.[10]
Bestandteil der Zahlungsbilanz ist darüber hinaus die Kapitalbilanz. Sie ist faktisch der finanzielle Gegenposten zur Leistungsbilanz und erfasst alle Änderungen in den Beständen der geldlichen Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland. Ein Kapitalimport liegt dann vor, wenn es zu einer Zunahme der Verbindlichkeiten oder zu einer Abnahme der Forderungen gegenüber dem Ausland kommt. Dementsprechend geht ein Kapitalexport mit einer Zunahme der Forderungen oder einer Abnahme der Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland einher. Kapitalimporte kommen beispielsweise durch den Import ausländischer Waren auf Ziel oder den Erwerb von Staatsanleihen durch Ausländer zustande. Kapitalexporte entstehen etwa durch Warenexport mit Kreditvergabe an das Ausland oder durch den Erwerb ausländischer Anlagen durch Inländer.[11]
Die Kapitalbilanz im engeren Sinn (KB) umfasst Direktinvestitionen, Wertpapieranlagen, Finanzderivate sowie den übrigen Kapitalverkehr. Darüber hinaus gibt es die Devisenbilanz (DB), welche die Transaktionen der Zentralbank mit den Währungsreserven (Devisen, Sorten, Sonderziehungsrechte und Gold) ausweist.[12] Da auch Währungsreserven Forderungen gegenüber dem Ausland darstellen, könnte man sie der Kapitalbilanz (KB) zurechnen. Der Grund für die gesonderte Ausweisung der Devisenbilanz liegt darin, dass sich öffentliche Zentralbanken von anderen Beweggründen leiten lassen als die privaten Akteure, deren Transaktionen in der Kapitalbilanz erfasst werden.[13]
Nimmt man noch die Bilanz der Vermögensübertragungen hinzu, die einmalige Zahlungen wie den Schuldenerlass für Entwicklungsländer aufnimmt, sowie den Saldo der statistisch nicht aufgliederbaren Transaktionen (Restposten), so erhält man die Zahlungsbilanz (ZB):
ZB = LB + KB + DB + Vermögensübertragungen + Restposten ≡ 0 (3)
Die Zahlungsbilanz erfasst alle ökonomischen Transaktionen zwischen In- und Ausländern in einer bestimmten Periode und ist somit eine Stromgröße. Da gemäß der doppelten Buchführung immer Leistung und Gegenleistung verbucht werden, muss die Zahlungsbilanz formal stets ausgeglichen sein.[14] Wenn trotzdem von einer unausgeglichenen Zahlungsbilanz gesprochen wird, ist ein Überschuss oder Defizit lediglich in einer Teilbilanz gemeint.[15]
Vernachlässigt man die mit dem Restposten berücksichtigten statistischen Erfassungsmängel sowie die quantitativ unbedeutenden Vermögensübertragungen, nähert man sich einer vereinfachten Zahlungsbilanzsystematik an. Eine positive Leistungsbilanz bedeutet die Zunahme privater und/oder zentralbanklicher Forderungen. Aus
LB = – KB – DB[16] (4)
wird ersichtlich, dass sowohl die Zunahme der privaten (Netto-)Forderungen als auch die Zunahme der Währungsreserven in den Bilanzen mit einem Minus verbucht werden.[17] Einem Leistungsbilanzüberschuss steht also immer eine identische Summe aus privatem Nettokapitalexport (NKX) und Nettozunahme der Auslandsaktiva der Zentralbank (NAZ) gegenüber[18]:
LB = NKX + NAZ (5)
Während es noch in Zeiten von Bretton Woods die Zentralbank war, die durch Devisenmarktinterventionen für den jederzeitigen Ausgleich der Zahlungsbilanz sorgte, ist im gegenwärtigen Währungsregime der Wechselkurs jenes Instrument, das bei stark gesunkener Bedeutung der Zentralbankreserven die notwendige Übereinstimmung von Leistungs- und Kapitalbilanz sicherstellt.[19]
Der Leistungs- und mit ihm der Kapitalbilanzsaldo[20] bestimmt die Änderung des Nettoauslandsvermögens (B), auch Nettoauslandsposition, zwischen zwei Perioden:
LBt = Bt – Bt-1 (6)
Damit wird deutlich, dass ein Leistungsbilanzüberschuss mit einem Aufbau von Auslandsaktiva oder einer Verringerung von Auslandsverbindlichkeiten einhergeht.[21]
Das Nettoauslandsvermögen ist eine Bestandsgröße und setzt sich aus den Leistungsbilanzsalden der Vergangenheit (Stromgrößen) zusammen[22]:
Bt = B0 + LB1 + LB2 + … + LBt (7)
Die Verzinsung des Nettoauslandsvermögens wird dabei in der Leistungsbilanz verbucht, wie bereits Gleichung (2) gezeigt hat. Bei der Beurteilung der internationalen Liquiditätslage eines Landes spielt die Nettoauslandsposition eine wichtige Rolle. Vor allem eine entsprechend hohe Verschuldung in fremder Währung oder bei festen Wechselkursen muss als kritisch angesehen werden.[23]
Bisher wurden die außenwirtschaftlichen Bezüge der Leistungsbilanz im Rahmen einer Zahlungsbilanzanalyse dargestellt. Der Leistungsbilanzsaldo liefert aber auch wichtige Informationen über die binnenwirtschaftliche Situation eines Landes.[24] Hierzu ist ein Blick auf die Verwendungsseite des Bruttoinlandsprodukts (Q) notwendig, welches auf den privaten Konsum (C), die privaten Investitionen (I), den öffentlichen Konsum einschließlich der öffentlichen Investitionen (G) sowie für Exporte (X) verwendet werden kann. Die Importe (M) müssen abgezogen werden, da sie in den anderen Komponenten bereits enthalten sind.[25]
Q = C + I + G + X – M (8)
Für das Bruttonationaleinkommen (Y) muss dem Bruttoinlandsprodukt (Q) noch das Faktoreinkommen aus der übrigen Welt hinzugefügt werden:
Y = Q + r*B-1 bzw. Y = C + I + G + LB, (9a) (9b)
wobei (9b) aus (9a) unter Berücksichtigung von (8) und (2) hervorgeht.
Möchte man das verfügbare Einkommen des privaten Sektors YP darstellen, muss man die staatlichen Transfers und Subventionen (TR) hinzurechnen sowie die...