Nachdem sich das vorangehende Kapitel der Frage wie Entscheidungen getroffen werden, gewidmet hat, dient das vorliegende Kapitel dazu die Auswirkungen der gestiegenen Entscheidungsmöglichkeiten zu diskutieren. Die gestiegenen Wahlmöglichkeiten sind in allen Bereichen des täglichen Lebens, wie zum Beispiel bei der Wahl der Karriere, des Wohnortes, des Lebenspartners, des Urlaubsorts oder von Konsumgütern, zu beobachten.[96] Die freie Entscheidung stellt ein grundlegendes Menschrecht dar und gilt als Ausdruck des freien Willens.[97] Deshalb wird eine große Auswahl von vielen Menschen auch als die höchste Leistung der heutigen Märkte angesehen.[98] In der Gesellschaft hat sich das Motto 'je mehr, desto besser' etabliert. Zudem leben und handeln immer mehr Menschen nach dieser Maxime.[99] Auch Händler werben damit alle erdenklichen Produkte mit ihrem riesigen Sortiment abzudecken.[100] So wirbt mobile.de in einem TV-Werbespot z. B. damit der größte deutsche Fahrzeugmarkt zu sein.[101] Viele Wissenschaftler sind sogar der Meinung mehr Möglichkeiten können nur Vorteile mit sich bringen.[102] Denn Studien belegen, dass eine Steigerung der Sortimentsgröße zu zusätzlichen Verkäufen und damit zur Umsatzsteigerung führt.[103] Diese Vorteile der gestiegenen Auswahlmöglichkeiten werden in Kapitel 3.1 diskutiert. Hier werden unter anderen Punkte wie die höhere Präferenzübereinstimmung, die Reduktion der Suchkosten oder der Spaß beim Einkaufen angesprochen. Im Laufe des letzten Jahrzehnts erschienen jedoch eine Reihe von wissenschaftlichen Beiträgen, in denen die Vorteile der gestiegenen Entscheidungsmöglichkeiten in Frage gestellt wurden. Die Autoren beweisen anhand von Untersuchungen, dass eine große Auswahl an Alternativen auch negative Auswirkungen auf den Konsumenten haben kann.[104] So können große Sortimente bspw. dazu führen, dass der Konsument mit einer Entscheidung überfordert ist und deshalb die Entscheidung verschiebt oder sogar gänzlich vermeidet.[105] Ein solcher Fall wäre fatal für einen Händler, weshalb ein großer Bedarf besteht die negativen Wirkungen von großen Sortimenten bzw. gestiegenen Möglichkeiten zu identifizieren, um diesen mit geeigneten Maßnahmen entgegen zu treten. Kapitel 3.2 widmet sich diesen negativen Auswirkungen.
Die Möglichkeit (Kauf-)Entscheidungen zu treffen ist ein Ausdruck von Autonomie.[106] Trifft ein Konsument eine Entscheidung so empfindet er eine Art persönlicher Kontrolle.[107] Die Entscheidung als Ausdruck des selbstbestimmten Handelns erhöht die intrinsische Motivation.[108] Sogar triviale Entscheidungen führen zu enormen Konsequenzen bzgl. der Motivation.[109] Zuckerman et al. bestätigen diese These anhand eines Experiments, in dem es darum ging Puzzles zu lösen. Die Probanden, die sich ihr Puzzle selbst aussuchen konnten, zeigten eine größere intrinsische Motivation als diejenigen, die keine Auswahlmöglichkeit besaßen. Dies verdeutlicht, dass die Motivation mit zunehmender Kontrolle ansteigt.[110] Selbstkontrolle und intrinsische Motivation führen zu Spaß bei der Entscheidungsaufgabe, besserer Leistung und gesteigerter Lebenszufriedenheit.[111] Deshalb steigert ein größeres Sortiment die wahrgenommene Entscheidungsfreiheit, diese erhöht die Aufmerksamkeit, aktive Teilnahme und das Wohlbefinden des Konsumenten, wodurch wiederum die Wahrscheinlichkeit einer Kaufentscheidung erhöht wird.[112] Eine große Auswahl kommt der Tatsache entgegen, dass Konsumenten unterschiedliche Geschmäcker haben und wahrt somit die Individualität bzw. die individuelle Freiheit jedes einzelnen Konsumenten.[113]
Konsumenten bevorzugen eine Vielfalt an Produkten. Dafür lassen sich drei hauptsächliche Gründe anführen. Der erste ist ein internes Bedürfnis nach Vielfalt in Bezug auf die Befriedigung bestimmter Eigenschaften bzw. der Wunsch nach zusätzlichen Reizen. Ein weiterer Grund liegt in den Veränderungen der Umwelt, welche durch den Händler initiiert oder auf natürliche Weise entstanden sein können. Des Weiteren versuchen sich Konsumenten durch die Suche nach Abwechslung für die Zukunft abzusichern. Ein größerer Bestand an Alternativen ist eher in der Lage zukünftige Präferenzen zu erfüllen.[114] Die Suche nach einer Vielfalt an Alternativen bietet demnach eine Verringerung des Risikos, dass der Konsument seinen Geschmack oder seine Vorlieben ändert.[115] Der Wunsch nach Abwechslung treibt Konsumenten sogar dazu weniger präferierte Alternativen zu wählen. Dies geschieht sogar dann, wenn sie weniger Freude an diesen Alternativen haben als sie an einer wiederholten Wahl der höher präferierten Alternative gehabt hätten. Der Grund dafür ist die Tatsache, dass die favorisierte Alternative von dem Vergleich mit den weniger präferierten Alternativen profitiert. Konsumenten erinnern sich wohlwollend an die Reihenfolge ihrer Wahl, wenn sie eine vielseitige Auswahl an Erfahrungen beinhaltet, auch dann, wenn sie weniger erfreuliche Erfahrungen mit eingeschlossen hat.[116] Ariely/Levav liefern zwei weitere Gründe dafür, dass Konsumenten eine Vielfalt an Produkten bevorzugen. Die zugrunde liegende Studie untersucht das Entscheidungsverhalten von Individuen in Gruppen bei der Bestellung von Essen und Trinken. Die Ergebnisse zeigen, dass Individuen dazu tendieren die gleiche Alternative zu wählen, die bereits zuvor von einem anderen Gruppenmitglied gewählt wurde. Dies liegt zum einen an dem Drang zur Selbstdarstellung, der durch den Vergleich zu anderen Gruppenmitgliedern entsteht, und zum anderen an der Vermeidung der Informationssuche und -verarbeitung. Diese Vermeidung erspart dem Konsumenten die Zeit und Mühe einer eigenen Entscheidungsfindung.[117]
Neben dem Erreichen eines Ziels, wie z. B. das Finden eines bestimmten Produkts (bspw. ein Weihnachtsgeschenk) kann eine Einkaufserfahrung an sich Spaß bereiten.[118] Zahlreiche Menschen spazieren durch die Fußgängerzonen ohne ein bestimmtes Einkaufsziel vor Augen zu haben und erfreuen sich an der großen Auswahl an Geschäften sowie an Produkten. Eine kleinere Auswahl würde das Einkaufsvergnügen unweigerlich vermindern.
Wissenschaftler sind auch der Meinung, dass zusätzliche Alternativen bei rationalem Verhalten eine Verbesserung darstellen. Die Konsumenten, die viele Alternativen bevorzugen profitieren selbstverständlich von zusätzlichen Angeboten und diejenigen, die eher weniger Alternativen bevorzugen, können die zusätzlichen Alternativen einfach ignorieren.[119] Der Vorteil liegt hauptsächlich an der gesteigerten Wahrscheinlichkeit, dass Konsumenten das finden, was sie suchen.[120] Wenn Konsumenten genau das Produkt finden, das ihre Bedürfnisse befriedigt, so erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit des Kaufs erheblich.[121] Kuksov/Villas-Boas haben in einer Untersuchung, in der es darum ging welche Anzahl an DSL-Anbietern den Nachfragern vorgestellt werden sollten, herausgefunden, dass es sogar eine optimale Anzahl von Alternativen gibt. Im Fall der DSL-Anbieter betrug die optimale Anzahl vier, wobei anzumerken ist, dass diese Zahl von Situation zu Situation variiert. Zu viele Alternativen können den Kunden möglicherweise überfordern, aber zu wenige geben ihm das Gefühl zu wenig Entscheidungsmöglichkeiten zu haben.[122] Shah/Wolford beschreiben diesen Sachverhalt anhand einer umgedrehten U-Kurve. Ihre Studien zeigen ebenfalls, dass das Kaufverhalten mit zunehmenden Alternativen solange ansteigt, bis ein Optimum erreicht ist und danach wieder abfällt.[123] Dennoch schlussfolgern Konsumenten, dass ein größeres Sortiment im Gegensatz zu einem kleineren, eine höhere Wahrscheinlichkeit bietet das zu finden, was sie suchen.[124] Zudem bedient eine hohe Produktvielfalt die Verschiedenartigkeit an Geschmäckern.[125] Außerdem begünstigen große Sortimente die Reduktion von Suchkosten. So können Konsumenten bspw. an Ort und Stelle einen direkten Vergleich zwischen vielen Alternativen durchführen und erhalten dadurch einen Eindruck von der gebotenen Qualität.[126] Aus den verringerten Suchkosten resultiert eine enorme Zeitersparnis für den Konsumenten.[127]
Die positiven Effekte die mit gestiegenen Auswahlmöglichkeiten einhergehen werden durch die zahlreichen negativen Effekte, wie z. B. die hohen Suchkosten, höhere Wechselkosten und die niedrige Entscheidungsqualität, kompensiert. Der Nettoeffekt ist daher eher gering oder sogar negativ.[128] Zahlreiche Studien belegen diese negativen Effekte, die...