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E-Book

Gebrauchsanweisung fürs Laufen

AutorJochen Schmidt
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783492992831
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Vorfuß, Mittelfuß oder Ferse - welche Laufstile gibt es? Wann und wo läuft es sich am besten? Und was sagt die Familie zum Lieblingshobby? Jochen Schmidt, der im Schulsport eigentlich Angst vorm Ausdauertraining hatte, wurde dennoch vor über 25 Jahren zum passionierten Läufer. Heute joggt er im Wald und in Städten, am Strand und im Stadion, in Hochhaustreppenhäusern und auf dem Laufband. In seinem originellen wie ansteckenden Band erzählt er von persönlichen Rekorden und warum Laufen glücklich macht. Vom Kampf um das Idealgewicht ebenso wie von Achillessehnenreizungen und Hundebissen. Er berichtet von seinem Weg zum Marathon, schreibt über das Feilen an der perfekten Ausrüstung und verrät, was man von Karl May über das Joggen lernen kann.

Jochen Schmidt, 1970 in Berlin geboren, hat in Bukarest studiert und verbrachte Auslandsaufenthalte in Brest, Valencia, Rom, New York und Moskau. 1999 war er Mitbegründer der Berliner Lesebühne »Chaussee der Enthusiasten«. Er ist Übersetzer und Autor, u.a. der Bände »Müller haut uns raus«, »Triumphgemüse«, »Meine wichtigsten Körperfunktionen«, »Schmidt liest Proust«, »Schneckenmühle« und »Der Wächter von Pankow«. Seit einigen Jahren dokumentiert er fotografisch die Kuriositäten der DDR-Vergangenheit im Alltag. Zum Jubiläum des Mauerfalls veröffentlichte er zusammen mit David Wagner »Drüben und drüben«. Jochen Schmidt lebt in Berlin. Bei Piper liegen von ihm die »Gebrauchsanweisung für die Bretagne«, »Gebrauchsanweisung für Rumänien« und »Gebrauchsanweisung für Ostdeutschland« vor. Zuletzt erschien sein Roman »Zuckersand«.

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Leseprobe

Viermal um die Mülltonnen

Don’t call it a comeback / I’ve been here for years

LL Cool J, »Mama Said Knock You Out«, 1990

Es ist Januar, und ich laufe wieder, nach einer monatelangen Pause wegen beruflicher und familiärer Überlastung, aber vor allem wegen einer ganzen Serie von Infekten. »Emsige Geistesanstrengung und fortdauernde Leibesruhe können den stärksten Körper allmählich zermorschen«, schreibt der deutsche Pädagoge Johann Christoph Friedrich GutsMuths 1793 in »Gymnastik für die Jugend«. Ich traute mich gar nicht mehr, mich zu wiegen; das war wie bei der Marmelade im Kühlschrank, bei der ich nicht nachzusehen wage, ob sie schon verschimmelt ist, und einfach lange genug warte, um sie dann wegzuwerfen. Es wundert mich nicht, dass Männer während der Schwangerschaft ihrer Frauen zunehmen; es würde mich eher wundern, wenn sie danach wieder abnähmen. Meine Freundin hat mein periodisches Schwarzsehen, dass ich wahrscheinlich nie wieder laufen werde, nur weil es sich schon nach drei Wochen Pause so anfühlt, als sei ich nie laufen gewesen, ziemlich satt. Für meine Neugeburt als Läufer hatte ich ausgerechnet am Silvesterabend Zeit; es war natürlich schon dunkel, deshalb konnte ich nicht in den Park und bin auf die Idee gekommen, einfach durch die Straßen Richtung Stadtzentrum zu laufen, vielleicht käme ich bis zum Brandenburger Tor. Es ist sehr befriedigend, auf diese Weise einen großen Teil der Stadt zu Fuß erreichen zu können, und es fühlt sich trotzdem ein bisschen abenteuerlich an. Meine Knochen schmerzten, und ich kam mir fett vor, obwohl sich Nichtläufer immer provoziert fühlen, wenn ich behaupte, Übergewicht zu haben, ich sei doch schlank. (Ich weiß es besser, ich könnte mit dem Fett, das ich gespeichert habe, zweimal um die Erde laufen!) Schlank war ich nur jeweils am Abend nach einem Marathon. (Björn Borg fühlte sich schon mit 100 Gramm über seinem Kampfgewicht aufgebläht und bei 100 Gramm darunter ausgezehrt.) Wie immer, wenn ich wieder anfange, schmiedete ich sofort große Pläne; ich überlegte, ob ich mich für einen Hochhauslauf in Neukölln anmelden sollte, der Mitte Januar stattfinden wird, 465 Treppenstufen. Oder wenigstens für den Oderturmlauf in Frankfurt (Oder) im Sommer? Ich bin immer gerne Treppen gelaufen, weil die Strecke nicht so lang ist und man seine Oberschenkel förmlich explodieren fühlt, während die Gelenke geschont werden, zumindest auf dem Hinweg. Außerdem ist man in Treppenhäusern vom Wetter unabhängig. Man muss, wenn man länger dort trainiert, nur damit rechnen, anschließend einseitig Muskelkater zu bekommen.

Das ganze Zentrum war voller frierender Touristen, viele davon aus Spanien, schien mir. Vor allem die Älteren absolvieren ihr anstrengendes Tagesprogramm der Bequemlichkeit halber gerne in Laufschuhen mit gedämpften Sohlen. Unter den Linden hat zwar breite Bürgersteige, aber sie reichen trotzdem kaum aus, ich musste ständig ausweichen. Ich stellte wieder fest, wie selten ich nur noch im Zentrum meiner Stadt bin; ich hatte keine Ahnung, wie viel vom Stadtschloss schon steht, oder handelt es sich um eine »temporäre Schlossinstallation«? Ein Riesenrad war auch noch aufgebaut. Die Gegend um das Brandenburger Tor sieht nicht mehr aus wie 1989, als ich hier zu Silvester stand, die Menschen kletterten spontan die Blitzableiter hoch, um sich in die Quadriga zu setzen, es schien niemanden mehr zu geben, der einem etwas verbieten konnte. Wenn ich an so etwas denke, komme ich mir immer vor wie ein Zeitzeuge, den man eigentlich dafür bezahlen müsste, sich an früher zu erinnern. Ich lief auf dem Rückweg noch einen Schlenker die Karl-Marx-Allee hoch bis zum menschenleeren Strausberger Platz; von überall hörte man Detonationen, ein etwas makabres Gefühl in einer Stadt, die einmal fast vollständig zerbombt war. Zurück ging es in den Prenzlauer Berg, ein Bezirk, der nicht umsonst nach einer topografischen Gegebenheit benannt ist, was beim Laufen erfahrbar wird. Ich sah die Stadt an diesem Abend auf eine Weise, die nur beim Laufen möglich ist; wenn ich zu Hause geblieben wäre, wäre dieser Film, den ich jetzt im Kopf hatte, nie gedreht worden. Auf der Prenzlauer Allee Ecke Danziger Straße standen Krankenwagen, ein Motorrad war mit einem Pkw kollidiert, da hatte sich jemand den Jahresausklang sicher anders vorgestellt.

Im Winter trage ich unterwegs einen Halsmuff, den ich mir in einer chinesischen Änderungsschneiderei durch ein Dreiecks-Halstuch habe verlängern lassen, sodass ich den Muff über die Nase ziehen kann und den ganzen Lauf über eine Mischung aus meiner schon benutzten Atemluft und von meinem Körper angewärmten Ausdünstungen einatme, nur um mich nicht schon wieder zu erkälten, was sonst alle paar Wochen passiert. (Der amerikanische Trainerpionier Michael C. Murphy, der den Tiefstart erfunden hat, empfahl in seinem Buch »Athletic Training« 1914 etwas Ähnliches: »Ich würde die Athleten, die bei kaltem Wetter laufen, ausdrücklich warnen, den Kragen ihres Sweaters gut über den Mund zu ziehen, um ihre Lungen vor der kalten Luft, die sie einatmen, zu schützen.«)

Man ist natürlich auch viel langsamer, wenn man nach dem Zwiebelprinzip drei und mehr Schichten Kleidung übereinander trägt, und hinterher stellt sich die Frage, welche dieser Schichten man waschen muss. Jedes Mal alle drei? Dann müsste ich praktisch jeden Tag die Wäsche machen. Reicht es bei den äußeren beiden Schichten nicht, sie auszulüften? Aber wo? Meine Freundin behauptet, meine Laufkleidung würde so stinken, dass ihr schlecht wird, wenn sie das Bad betritt, wo ich sie trocknen lasse (aber auch noch, nachdem sie – natürlich separat und mit Hygienespüler Wäschedesinfektion – gewaschen wurde, so verschmutzte Textilien könnten nie wieder ganz sauber sein). Manfred Steffny schreibt zwar: »So gilt es auch unter Läufern als große, freundschaftliche Geste, das verschwitzte Trikot mit einem Mitläufer zu tauschen und überzustreifen«, aber meiner Freundin würde solch eine freundschaftliche Geste nicht in den Sinn kommen. (Immerhin wasche ich mich und schabe mir nicht nur den Schweiß mit einem Strigilis von der Haut, wie es die griechischen Athleten getan haben.) Wenn ich ihr erkläre, dass es einen entscheidenden Evolutionsvorteil dargestellt hat, dass wir Menschen schwitzen können (weil wir kein Fell mehr haben) und dass wir nur deshalb in der Lage waren (und sind), Antilopen zu Tode zu hetzen (wenn wir das auch selten tun), rümpft sie nur die Nase; ihr wäre es wahrscheinlich sogar lieber, ich hätte ein Fell und würde dafür nicht schwitzen. Es ist eine technologische Meisterleistung unseres Körpers, Wärme abgeben zu können, selbst wenn die Außentemperatur über der Körpertemperatur liegt. (Außerdem hält mein Gestank Fressfeinde fern, das ist viel praktischer, als wegrennen zu müssen.)

Laufen als freiwillige Beschäftigung hat mich als Jugendlichen noch nicht interessiert; ich kann mich nicht erinnern, je Jogger in den Straßen unseres Ostberliner Plattenbauviertels gesehen zu haben, es gab noch keine attraktive Laufmode, man lief in hässlichen Trainingsanzügen oder mit Turnhose über einer langen Unterhose durch den Wald oder betrieb »Dauerlauf« im Stadion auf einer Aschenbahn (der Begriff sagt alles über ihre Anziehungskraft auf einen Jugendlichen). Unsere Schulstrecke führte um das Schulgebäude, durch die Fenster schauten einem die anderen Klassen zu und amüsierten sich schadenfroh. Im Osten hieß es »Eile mit Meile!« (man sollte möglichst oft die »Festivalmeile« von 1973 Metern laufen, zu Ehren der X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten, die in Berlin im Jahr 1973 stattfanden), und im Westen quälte man sich auf »Trimm-dich-Pfaden«, um die Krankenkassen zu entlasten. Wie anders sah das in amerikanischen Filmen aus, vor allem wenn sie in New York spielten, da gab es oft Dialoge beim Joggen im Central Park, wobei die Akteure bedruckte Sweatshirts trugen, die mir schon für den Alltag zu schade gewesen wären. In Amerika joggte sogar der Präsident (Erich Honecker machte höchstens Übungen am Barren vor). War Jimmy Carter der Erste, der damit begonnen hat? Die Tradition ist jedenfalls nie abgerissen: Bill Clinton, George Bush (senior und junior) und Barack Obama sind öffentlich gejoggt. Nur Donald Trump, vielleicht weil er ein erklärter Gegner alles Urbanen ist – und Joggen ist im Wesen urbaner Lebensstil –, hält sich hier eher zurück. Joggende Politiker folgen dem Vorbild antiker Leader, nicht nur Achill, Herakles und Odysseus galten als gute Läufer, sondern auch Alexander der Große. Wobei Plutarch über diesen schreibt: »Aber zu den Leuten seiner Umgebung, die die Frage an ihn richteten, ob er wohl Lust habe, in Olympia im Stadionlauf wettzukämpfen – denn er war schnellfüßig –, sagte er: ›Ja, wenn ich Könige als Gegner hätte.‹«

Aus dem Jahr 1979, also genau aus der Zeit, als Joggen als Massenphänomen weltweit populär wurde, stammt »The Jericho Mile«, ein Fernsehfilm mit Kinoqualität von Michael Mann. In der deutschen Version bemühen sich die Sprecher um eine abenteuerlich unglaubwürdige Harte-Jungs-Diktion, ein Verrat an der schneidig-kehligen Stimme des Hauptdarstellers Peter Strauss und am coolen Ebonics-Sound der schwarzen Insassen. Der Film lief in meiner Kindheit jahrelang in DDR-Kinos, damals hielten sich Filme ja viel länger im Programm; ich habe, wenn ich hundertmal das Kinoprogramm in der Zeitung studierte, aber nie Lust bekommen, ihn zu sehen, nur der biblisch anmutende Titel hat sich mir eingeprägt. Es ist schade, dass ich »The Jericho Mile« damals verpasst habe, vielleicht hätte der Film mich inspiriert, früher mit...

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