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Gesundheitsstörungen erkennen und verstehen

Arbeitsbuch zur Examensvorbereitung

AutorKatrin Balzer, Udo K. Lindner
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl206 Seiten
ISBN9783170264533
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
In der pflegerischen Ausbildung hat die fallbezogene und fächerübergreifende Vermittlung medizinischen Wissens neue Bedeutung erlangt. Nicht nur Krankheitsbilder, sondern den ganzen Menschen gilt es zu verstehen. In diesem Buch werden, jeweils ausgehend von einem Patientenbeispiel, 25 häufig auftretende Leitsymptome, wie zum Beispiel Fieber, Kopfschmerzen und Herzrasen, vorgestellt sowie infrage kommende Ursachen und diagnostische Schritte erläutert. Ergänzend dazu geben Algorithmen eine strukturierte Übersicht über den Kontext von Krankheitssymptomen und die daraus folgenden diagnostischen Strategien. Außerdem werden Bezüge zur pflegerischen Diagnostik aufgezeigt. Abgeschlossen wird jedes Kapitel mit einem Glossar als Hilfe zur Examensvorbereitung. Diese bisher einzigartige Zusammenstellung von Leitsymptomen stellt eine innovative Ressource sowohl für den Unterricht als auch für das Selbststudium dar. Das Buch stellt eine erweiterte, aktualisierte und überarbeitete Fassung der gleichnamigen Beitragsserie in der Pflegezeitschrift in den Jahren 2007 bis 2009 dar.

Dr. Udo K. Lindner, Internist, Dozent in der Gesundheits- und Krankenpflegeausbildung an der Universität Heidelberg Katrin Balzer, Dipl.-Pflegepädagogin, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Sektion Forschung und Lehre in der Pflege am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein.

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Leseprobe

1 Leitmerkmal Bewegungsstörungen


Fallbeispiel

Die 30-jährige Frau E. stellte eines Morgens beim Blick in den Spiegel fest, dass sie ein „schiefes“ Gesicht hat. Das rechte Augenlid ließ sich nicht ganz heben (Ptosis). Vor einem halben Jahr hatte sie den Zahnarzt aufgesucht, weil sie Probleme hatte, zähes Fleisch zu kauen, doch wurde kein Befund erhoben. Unabhängig davon registrierte die junge Frau, die den Haushalt und zwei kleine Kinder versorgt, dass sich ihre Freunde von ihr zurückziehen.

Eine Bekannte, die sie daraufhin ansprach, meinte, dass sie einfach wenig Interesse an anderen zeige und gefühlskalt reagiere. Damit wies sie auf die reduzierte Mimik der 30-Jährigen hin. In den letzten Wochen kam hinzu, dass ihr das Treppensteigen schwer fiel und ihr Mann einmal sagte, sie solle doch nicht immer so schlurfend gehen. Seit einiger Zeit bemerkte Frau E. zudem, dass längeres Fernsehen sie anstrengte und sie manchmal die Dinge doppelt sah. Ein Termin beim Augenarzt war schon vereinbart, als nun erste Lähmungserscheinungen im Bereich der Mimik auftraten.

Frau E. wurde bei Verdacht auf eine systemische Muskelerkrankung in eine neurologische Klinik aufgenommen.

Beobachtung und Untersuchung


Störungen des Bewegungsablaufs sind meist nicht allein durch ihr Erscheinungsbild einem eindeutigen Krankheitsbild zuzuordnen. In jedem Fall muss eingehend geklärt werden, wann erstmals Auffälligkeiten aufgetreten sind und wie sich diese genau geäußert haben. Das Muster der sich rasch verschlechternden Muskelausfälle bei Frau E. im Bereich der mimischen und der Kaumuskulatur, der Augenmuskeln und der Beine ließ bald an eine Myasthenia gravis denken. Denn v. a. junge Frauen um die 30 sind von dieser Autoimmunkrankheit betroffen. Bei der Untersuchung fand sich eine im Vergleich zur Muskulatur von Armen, Schultern und Rumpf deutliche Hypotrophie der Muskeln der Oberschenkel. Die Elektromyografie ergab eine pathologisch beschleunigte Ermüdung der Muskeln. Zu den weiteren bildgebenden Verfahren, die eingesetzt wurden, gehörten die zerebrale Computertomografie (CT) und die Magnetresonanztomografie (MRT) des Gehirns. Dabei galt es v. a., einen Schlaganfall, zerebrale Blutungen und eine Multiple Sklerose auszuschließen. Durch Laboruntersuchungen auf Entzündungszeichen und zum Nachweis von Antikörpern bei Immunreaktionen ließ sich die Diagnose Myasthenia gravis rasch sichern. Im Blut konnten die auslösenden Antikörper dieser ursächlich ungeklärten Autoimmunkrankheit nachgewiesen werden. Die Antikörper richten sich gegen die Rezeptoren (für Azetylcholin) an der motorischen Endplatte, jener Synapse, die den Impuls der zentralnervösen motorischen Erregung auf den Muskel überträgt. An dieser Autoimmunreaktion ist der Thymus beteiligt, wobei die auslösenden Faktoren nicht geklärt sind. Infektionen, aber auch chronischer Schlafmangel können eine Rolle spielen. Im Fall der Patientin konnten keine eindeutigen Entstehungsfaktoren nachgewiesen werden.

Hintergründe und weitere Diagnostik


Bewegungsstörungen können sich an allen Muskeln isoliert zeigen, betreffen aber meist zusammengehörende Muskelgruppen. Ursachen können zentralnervöse Störungen, aber auch Erkrankungen der Gelenke, der Muskeln oder der peripheren Nerven sein. Besteht eine Bewegungs- oder Gangstörung, sollten zunächst grundlegende anamnestische Fragen geklärt werden (s. Algorithmus S. 17).

Zentralnervöse Ursachen


Degenerative Erkrankungen des ZNS gehen immer mit einer veränderten, eingeschränkten Beweglichkeit und oft mit der Entwicklung einer Demenz einher. Ein typisches Beispiel hierfür ist Morbus Alzheimer. Bewegungsstörungen entstehen auch immer dann, wenn das Zusammenspiel von Gleichgewicht und optischen Informationen an die Sinneszentren und das Kleinhirn gestört ist, oder bei Erkrankungen der Rückenmarksbahnen. Tremor, Hypo- oder Akinese und Rigor (Tab. 1) weisen auf einen Morbus Parkinson hin. Häufig werden Schmerzen in den Extremitäten als Frühsymptom beobachtet, die auf degenerative Veränderungen der Wirbelsäule zurückgeführt werden. Das charakteristische Vollbild der Erkrankung entwickelt sich zunächst langsam. Eine unruhige Mimik mit blitzartig einschießenden Hyperkinesien entwickelt sich häufig zur Chorea Huntington. Die insgesamt verlangsamten Bewegungen mit Sprachstörungen und allgemeiner Unruhe können eine Demenz vortäuschen. Beim Tourette-Syndrom treten tic-artige Zuckungen im Gesicht auf, die oft mit unkontrollierten, zwanghaften zotigen Äußerungen verbunden sind. Immer sind auch psychogene Gangstörungen auszuschließen.

Skelett- oder Gelenkerkrankungen


Häufig sind degenerative Veränderungen der Gelenke Ursache von Bewegungsstörungen, die unter Belastung zunehmend mit Schmerzen einhergehen und bei Ruhe oder nachts – im Gegensatz zur entzündlichen Arthritis – abklingen. Bei klinisch erkennbaren Arthrosen lässt sich bei Bewegung des Gelenks ein Knirschen und Reiben des zerstörten Knorpels fühlen. Fortschreitende Arthrosen führen zur Gelenkfehlstellung (Arthrosis deformans). Verbreitete Arthrosen sind die des Hüftgelenks (Coxarthrose) und die des Kniegelenks (Gonarthrose). Als auslösende Faktoren kommen mehrere Krankheiten in Betracht:

  • Immunkrankheiten, z. B. rheumatoide Arthritis (chronische Polyarthritis), Arthritis bei Kollagenosen (beispielsweise Psoriasis-Arthritis),
  • Stoffwechselstörungen, z. B. Gicht, Diabetes mellitus,
  • Vitaminmangel, z. B. Mangel an Vitamin C (subperiostale Blutungen), Osteomalazie bei Mangel an aktivem „Hormon Vitamin D“ (Störung der Aktivierung von Vitamin D bei chronischer Niereninsuffizienz),
  • hormonelle Erkrankungen, Hyperparathyreoidismus, Hypothyreose oder Cushing-Syndrom (Überfunktion der Nebennierenrinde oder über längere Zeit hoch dosierte Kortisontherapie),
  • Durchblutungsstörungen mit aseptischen Knochennekrosen.

Tab. 1: Bewegungsstörungen

Ataxie

Störung der Bewegungskoordination durch Erkrankungen des Rückenmarks oder des Kleinhirns (Cerebellum)

Akinese und Hypokinese

Gestörter Ablauf natürlicher, harmonischer Bewegungen. Der Patient muss immer wieder zu gewollten Bewegungen ansetzen, wobei diese verlangsamt ablaufen und erst verzögert beginnen. Charakteristisch für Morbus Parkinson

Chorea

Griechisch für „Tanz“; umschreibt verschiedene unwillkürliche Bewegungen, die der Patient nicht unterdrücken kann. Typisches Beispiel: Chorea Huntington (Veitstanz)

Dystonie

Unwillkürliche, länger anhaltende Muskelkrämpfe

Faszikulationen

Unkontrollierte, plötzliche Muskelkontraktionen, v. a. bei Erkrankungen der motorischen Vorderhornzellen (bei spinaler Muskelatrophie)

Lähmung (Parese):

Funktionsausfall eines Muskels mit sehr unterschiedlicher Ursache. Der vollständige Funktionsausfall wird auch als Paralyse oder Plegie bezeichnet (Abb. 1).

zentrale Lähmung

Erhöhte Eigen- und abgeschwächte Fremdreflexe, Auftreten einer Hemiparese oder Spastik von Muskelgruppen und/oder pathologischer Reflexe wie Babinski-Zeichen

periphere Lähmung

Abgeschwächte Reflexe, herabgesetzter Muskeltonus, typisches radikuläres Verteilungsmuster, häufige Faszikulationen, Muskelatrophie innerhalb weniger Wochen

Myoklonie

Rasch einsetzende, unwillkürliche Muskelzuckungen, ausgelöst durch bestimmte Bewegungen oder äußere Reize, z. B. auch die natürlichen Zuckungen vor dem Einschlafen

Rigor

Erhöhter Dehnungswiderstand bei hohem Muskeltonus, der bei passiver Dehnung rhythmisch unterbrochen wird (Zahnradphänomen). Neben Tremor und Hypokinese gilt der Rigor als Leitmerkmal des Morbus Parkinson

Spastik

Erhöhter Muskeltonus mit eingeschränkter Beweglichkeit bei zentraler Lähmung, z. B. nach Schlaganfall. Betroffen sind v. a. Muskelgruppen, die besonders gegen die Schwerkraft wirken müssen.

Tremor

Unwillkürliches Zittern, das in Ruhe oder bei zielgerichteten Bewegungen (Intentionstremor) auftritt.

Zu den Erkrankungen und...

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