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E-Book

Happy Tokio (DuMont Reiseabenteuer)

Mein neues Leben in Japans hässlich-schönster Stadt

AutorAndreas Neuenkirchen
VerlagDumont Reiseverlag
Erscheinungsjahr2018
ReiheDuMont Reiseabenteuer E-Book 
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783616491530
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR

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Das E-Book basiert auf: 1. Auflage 2018, Dumont Reiseverlag

Japans Bevölkerungszahl sinkt, Tokios Bevölkerung wächst. Das Magazin Monocle kürte Tokio zwei Jahre in Folge zur lebenswertesten Stadt der Welt. Und doch findet sich in so gut wie jedem Reiseführer die Warnung: 'Tokio ist keine schöne Stadt.' Andreas Neuenkirchen ist zusammen mit seiner Frau und seinem Kind geblieben und lüftet auf wunderbar unterhaltsame Weise das Geheimnis, warum Tokio glücklich macht. Seine Enteckungsreise führt ihn in Manga-Läden genauso wie in Alte-Herren- Nudellokale, unter Kirschblüten wie unter Millionen von Regenschirmen, früh morgens in Parks und mitternachts in Convenience Stores. Im vernetzten, intelligenten Haus hält er Zwiegespräche mit Mikrowelle und Badewanne, im Kindergarten mit Kindergärtnerinnen, die äußerlich von Kindern kaum zu unterscheiden sind.

Tipp: Setzen Sie Ihre persönlichen Lesezeichen an den interessanten Stellen und machen Sie sich Notizen... und durchsuchen Sie das E-Book mit der praktischen Volltextsuche!



<p>Andreas Neuenkirchen ist seit 1993 Journalist, zunächst frei im Feuilleton Bremer Tageszeitungen und Stadtmagazine, später als Redakteur online und offline in München. Er ist der Autor mehrerer erfolgreicher Romane und Sachbücher mit Japan-Bezug. Momentan lebt er mit seiner japanischen Frau und der gemeinsamen Tochter in Tokio. www.andreas-neuenkirchen.asia</p>

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Leseprobe

Besinnliche Vorbemerkungen oder: Herzlich willkommen in der hässlichsten Stadt der Welt!

Gut, Tokio ist wahrscheinlich nicht die hässlichste Stadt der Welt. Es tut mir jetzt schon leid, dass ich das geschrieben habe. Tokio ist nun mal eine Stadt, die, möchte man sie beschreiben, zu Superlativen verführt. Um nur drei zu nennen: Tokio hat die vollste Fußgängerkreuzung der Welt (in Shibuya), den vollsten Bahnhof der Welt (in Shinjuku) und die vollste Girlgroup der Welt (AKB48 mit über 130 Mitgliedern). Schon die Einwohnerzahl ist mit 14 Millionen kein Pappenstiel, und damit sind nur die im unmittelbaren Stadtbereich gezählt. Da Tokio wie jede Großstadt, die etwas auf sich hält, jedes Wald- und Wiesendorf in der Umgebung eingemeindet und zu ihrem Großraum erklärt hat, sind es insgesamt fast 38 Millionen Menschen (noch sind nicht alle davon Mitglieder von AKB48; die nehmen schließlich nur Frauen). Verständlich, dass man nicht für jeden ein kleines Barockschlösschen mit Springbrunnengarten bauen konnte.

Schon Anfang des 20. Jahrhunderts, als sich das alte Edo (»Flussmündung«) zum neuen Tokio (»östliche Hauptstadt«) wandelte, machte sich die schreibende Zunft über die Hässlichkeit der Stadt lustig. Vor allem die schreibende Zunft, die Reiseführer verfasste. Diese Hässlichkeit war größtenteils importiert, denn die Modernisierung Japans und seiner Hauptstadt war in nicht geringem Maße eine Verwestlichung. Europäische und amerikanische Architekten – solche, die weltweit hohes Ansehen genossen, und solche, die in der Heimat keiner haben wollte – durften sich so richtig austoben. Die Ergebnisse waren isoliert betrachtet gar nicht mal durchweg grauenerregend, integrierten sich aber selten in den architektonischen Kontext ihrer Umgebung. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Tatsächlich könnte man sagen: Diese schrecklich schöne oder ganz schön schreckliche Stilverquickung ist zum Markenzeichen Tokios geworden.

Früher war mehr Tokio

Über die Vorzüge und Widrigkeiten Tokios kann man mit Alteingesessenen und Zugereisten trefflich streiten, doch in einem sind sich alle einig: Tokio ist nicht mehr das, was es mal war. Im Zweifelsfall war sogar früher alles besser. Da macht es kaum einen Unterschied, ob das Tokio von vor zwei Jahren oder das von vor zwei Jahrhunderten als Messlatte dient

Als ich Ende der Neunziger zum ersten Mal nach Japan kam, und damit zum ersten Mal nach Tokio, war eigentlich schon alles vorbei. Im Grunde konnte ich gleich wieder einpacken und abreisen, hier gab es nichts mehr zu sehen und nichts mehr zu tun. So stellten es jedenfalls die dar, die bereits dort waren. Vor allem die Ausländer, herübergeschwappt in den Achtzigern, als sich Leistung noch lohnte, als der Yen noch echtes Geld war und rollte wie der sprichwörtliche Rubel und als man damit alles nur Erdenkliche kaufen konnte, also vor allem Spaß und Lebensfreude. Es war die längst vergangene Zeit, in der im gesamten Westen die Angst vor der Japanisierung des Abendlandes umging. Sie kamen nicht mit Bomben und Gebeten, sondern mit freundlichen und weniger freundlichen Übernahmen. Mit Angeboten, die man nicht ausschlagen konnte. Doch bald platzte die Wirtschaftswunderblase, und inzwischen sehen die Japaner ihrerseits mit Schrecken zu, wie taiwanische und koreanische Firmen ihre einst so prächtigen Wirtschaftsflaggschiffe übernehmen, eines nach dem anderen. Die meisten ausländischen Party People sind weitergezogen, womöglich nach Seoul und Taipeh. Wer den Absprung nicht rechtzeitig geschafft hatte, blieb dort und quengelte.

Ich schenkte dem Quengeln der Zurückgeblieben nicht viel Beachtung und nahm mir vor, niemals das Staunen zu verlernen und nicht zu einem abgehalfterten Expat zu werden (schon das Wort allein!), der von der guten alten Zeit schwadroniert und dem alles Neue als Firlefanz gilt. Und doch ertappe ich mich heute immer wieder dabei, wie ich mit krummem Rücken am Tresen sitze und großäugigen jungen Rucksacktouristen abgeklärt erzähle, was sie alles verpasst haben durch ihre schusselige späte Geburt. Ich versichere ihnen im Brustton der Überzeugung, dass es heute einfach nicht mehr so aufregend in Tokio ist, wie es damals war, als ich erstmals ins Land kam. Damals konnte man noch rauchen, wo man ging und stand. In Roppongi konnte man keine zwei Schritte tun, ohne von einem hoch motivierten Puffpromoter handgreiflich bedrängt zu werden. Und jedes Kleinkind mit genügend Klimpergeld in der Hosentasche konnte sich die nächste Halbliterdose Bier aus dem nächsten Automaten ziehen.

Gebäude des Hinomaru-Taxiunternehmens. Irgendjemand wird’s so genehmigt haben.

Dabei ist mir selbst unbegreiflich, weshalb ich gerade das Verblassen dieser Umstände beklage. Schon lange rauche ich nicht mehr; meinetwegen könnten die Rauchverbote in Japan sogar noch verschärft werden. Der irritierenden modernen Verherrlichung der todtraurigen Sexindustrie konnte ich nie etwas abgewinnen; ich bin begeistertster Befürworter der Gentrifizierung Roppongis und der Verdrängung der Schmuddelbetriebe. Und selbst als die Bierdose und ihre Beschaffung in meinem eigenen Leben eine zentralere Rolle spielte als heute, hatte ich gefunden, dass ihre freie, unkontrollierte Verfügbarkeit in jedem Verkaufsautomaten am Straßenrand nicht unbedingt zur Wahrung jugendlicher Unversehrtheit beiträgt. Ich möchte das unkontrollierte Tokio von früher nicht zurückhaben (der mündige, erwachsene Bürger findet ohnehin nach wie vor genügend Orte für den Kontrollverlust). Und doch ist da ein kleines bisschen Wehmut, wenn ich an die schmuddelige alte Zeit zurückdenke.

Wendet man sich noch älteren, vielleicht gar bereits verstorbenen Herren zu, zum Beispiel verdienstvollen Japanvermittlern wie Donald Keene und Edward Seidensticker, so wird man in deren Schriften einen gewissen Ekel feststellen, wenn es um die Goldenen Achtziger geht. Für sie hat die Verblödung Japans und seiner Hauptstadt mit der explodierenden Wirtschaft und ihrem oberflächlichen, kulturlosen Hedonismus Einzug gehalten. Sie sehnen sich zurück in die Fünfziger und Sechziger, als im Dunstkreis sehr unterschiedlicher Schriftsteller wie Yukio Mishima und Kenzaburō Ōe eine glamouröse intellektuelle Kultur entstand, die nicht nur international konkurrenzfähig war, sondern regelrecht Vorbildcharakter hatte. Der Autor Kafū Nagai derweil, den Seidensticker in seiner zweibändigen Geschichte Tokios immer wieder zitiert, sah schon am Anfang des 20. Jahrhunderts das Tokio, das er verehrte, rapide dahinschwinden (wobei er sich selbst nur allzu gern den Verlockungen der modernen Großstadt hinschenkte).

Und so kann man den Verlust des echten, wahren Tokios im Stile eines Monty-Python-Sketches immer weiter fort- beziehungsweise zurückspinnen:

»Als sich am Flusse Sumida die Affen mit Stöcken kratzten – das war das wahre Tokio!«

»Affen mit Stöcken? Westliche Dekadenz! Die Amöbe in Edos Urschlamm – die wusste es noch zu leben!«

»Amöben?! Als die Amöben kamen, war doch der ganze Spaß längst vorbei!«

Die Geschichte lehrt uns: Die beste Zeit, in Tokio zu leben, ist genau jetzt. Denn davon werden wir in zehn bis zwanzig Jahren den Spätgeborenen vorschwärmen. Die werden gütig lächeln und uns den Spaß lassen, bevor sie ihrerseits ein paar Jahre später den jungen Leuten weismachen, dass Tokio leider nie wieder so sein wird wie in den 2030ern und 2040ern. Und sie werden recht haben.

***

Trotz aller Beschwerden der ziemlich Gestrigen ist Tokio nach wie vor eine äußerst lebenswerte Stadt. Glaubt man Zeitschriftenerhebungen, ist es sogar die lebenswerteste Stadt der Welt. Zumindest wurde sie dazu in drei Jahren in Folge (2015 bis 2017) von Monocle erklärt, einem Magazin für Besserverdienende, die übers Besserverdienen das Lesen nicht verlernt haben (soll es ja geben). Kriterien für die Hitparade waren unter anderem, ob man noch nach 22 Uhr etwas Vernünftiges zu essen bekommt, wie schnell der Krankenwagen da sein kann und wie viele unabhängige Buchläden es pro Nase gibt. Allesamt vernünftige Maßstäbe.

Ich packe noch einen drauf: In Tokio ist das Leben nicht nur lebenswert, Tokio macht regelrecht glücklich. Ich weiß das, denn ich habe die Happy Road gesehen. Und wenn du lange genug in die Happy Road blickst, dann blickt auch die Happy Road in dich hinein.

Wir Kinder vom Bahnhof Happy Road

Happy Road Oyamadai – so steht es über der kurzen Einkaufsstraße nahe dem Bahnhof des Tokioter Vororts, in dem ich mit meiner kleinen Familie 2015 für zwei Monate lebte, als wir vorbehaltlich unseren definitiven Umzug in die japanische Hauptstadt andachten. Wir waren dort tatsächlich ziemlich glücklich. Es gab einen Kaffeeladen, in dem der Kaffee ungefähr das Achtfache dessen kostete, was wir gemeinhin für Kaffee ausgeben. Und wir sind da keineswegs knauserig; im Alter begreift man schließlich, dass es nicht darauf ankommt, viel Kaffee in sich hineinzuschütten. Es kommt darauf an, guten Kaffee in sich hineinzuschütten (für alkoholische Getränke gilt dasselbe). Aber so guten vielleicht auch wieder nicht. Trotzdem gingen wir gern an dem Laden vorbei und rochen daran. Möglicherweise gingen wir gerade zu der Bäckerei, in der wir unser erstes banges Frühstück an unserem temporären Heimatort einnahmen, am Morgen nach unserer Landung. Japan ist kein ausgesprochenes Frühstücksland (davon wird noch ausführlicher die Rede sein müssen, ich möchte Schattenseiten nicht gänzlich verschweigen), doch das war nicht der Grund fürs Bangesein. Der war eher, dass Japan auch nicht als ausgesprochenes Kinderland berühmt ist. Man kann zwar im Land von Manga, Anime (Zeichentrick) und Karaoke bis ins hohe Alter kindlich bleiben, doch tatsächlich Minderjährige...

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