Die kritische Auseinandersetzung mit Konsum und Umweltverschmutzung beginnt Mitte der 1970er Jahre und erreicht ihren vorläufigen Höhepunkt in den 1980er Jahren. Das öffentliche Interesse nimmt in den 1990er Jahren ab und gelangt zur Jahrtausendwende an einen Tiefpunkt. In den vergangenen Jahren zeichnet sich hingegen wieder ein Trend zu mehr Umweltinteresse ab.[74] Abbildung 5 veranschaulicht, welche Bedeutung die Bürger der Bundesrepublik Deutschland den Umweltproblemen unter den politischen Aufgabenfeldern im Zeitvergleich zugewiesen haben.
Abbildung 5: Priorität von Umweltproblemen in der Bundesrepublik Deutschland
(Quelle: in Anlehnung an BMU (2000), S. 16; BMU (2013), S. 19.)[75]
Eine weitere Langzeitstudie von 1977 bis 2004 misst das Umweltbewusstsein[76] differenzierter, indem nach ökologischem Verhalten, Wissen und Einstellung unterschieden wird. Die Ergebnisse (vgl. Anhang 3) zeigen von 1977 bis 1994 einen starken Anstieg des Umweltbewusstseins und in den Jahren 1994 bis 2004 einen deutlichen Rückgang.[77] Der Unterschied zu Abbildung 5 in den ersten Jahren lässt sich durch die Internalisierung des Umweltgedankens im Zeitverlauf erklären. Während Ende der 1980er Jahre die Besorgnis über Umweltprobleme relativ hoch ist,[78] nimmt das umweltfreundliche Wissen und Verhalten erst in den Folgejahren durch den öffentlichen Diskurs zu. Insbesondere das von den Befragten geschilderte intendierte Verhalten steigt von 1977-2004 stark an.[79] Im Rahmen letzterer Studie wurden die Befragten zudem gebeten, Divergenzen zwischen Umweltbewusstsein und Verhalten einzuschätzen. Während 1994 schon 66,8 Prozent nicht konsistentes Verhalten vermuten, steigt die Zahl im Jahr 2004 auf 73,8 Prozent an. Dies zeigt, dass die Existenz des Value-action Gaps von den meisten Menschen in Deutschland bereits angenommen wird. Im Gegensatz dazu wird der Verbraucher als derjenige genannt, der am besten zur Lösung von Umweltproblemen geeignet ist – gefolgt von Herstellern und dem Staat. [80]
In der betriebswirtschaftlichen Forschung verläuft die Entwicklung ähnlich, wenngleich um einige Jahre verzögert. Während man sich der Thematik in den 1960er und 1970er Jahren nur vereinzelt widmet, ist gegen Ende der 1980er ein „Öko-Boom“ zu verzeichnen, der zu einer Etablierung ökologieorientierter Forschung in den 1990ern führt. Nach Stagnation zur Jahrtausendwende hat sich der Fokus auf den Bereich der Nachhaltigkeit verschoben und damit wieder neue Impulse zur Forschung gegeben.[81]
Betrachtet man die Konsumausgaben für nachhaltige Produkte, so zeigt sich seit der Jahrtausendwende eine relativ konstant steigende Entwicklung. Beispielsweise haben sich die Umsätze von Bio-Lebensmitteln in Deutschland von 2000 bis 2010 fast verdreifacht und liegen 2012 bei sieben Milliarden Euro. Der Anteil am gesamten Lebensmittelumsatz liegt damit bei 3,9 Prozent, was zeigt, dass in diesem Bereich noch große Potenziale bestehen.[82] Auch im europäischen Umland und den USA steigen die Ausgaben für Bio-Lebensmittel an. In den USA liegt der Bio-Anteil z. B. bei 4,2 Prozent.[83] Die weltweiten Umsätze von Fairtrade-Produkten haben sich von 2010 auf 2011 um zwölf Prozent erhöht (Deutschland: 18 Prozent).[84] Auch eine Studie zum ethischen Konsum in Großbritannien zeigt im Zeitraum von 2000 bis 2011 in nahezu allen Konsumbereichen konstante Zuwachsraten nachhaltiger Produkte.[85]
Ein möglicher Grund für diese Entwicklung ist die verstärkte öffentliche Diskussion um das Thema. Konsum und Konsumkritik sind in den vergangenen Jahren unter anderem Gegenstand von zahlreichen publizistischen Veröffentlichungen[86] oder Filmen (z. B. „We feed the World“ von Erwin Wagenhofer) gewesen. Neben medialer Präsenz durch Lebensmittelskandale und Katastrophen[87] sind durch Konsum verursachte Problematiken auch immer wieder Bestandteil regulärer Berichterstattungen.[88]
Obwohl in den vergangenen Jahren die substanzielle gesellschaftliche Bedeutung einer nachhaltigeren Entwicklung immer deutlicher geworden ist, kann keine analoge Entwicklung des Umweltbewusstseins der Deutschen festgestellt werden.[89] Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) führt in Deutschland regelmäßig Studien zum Thema Umweltbewusstsein durch. Die letzte Erhebung erfolgte 2012 durch eine repräsentative Befragung von 2.000 Personen.[90] Diese Studie enthält einige zentrale Aspekte, die auch Rückschlüsse auf das Nachhaltigkeitsbewusstsein zulassen:[91]
Umweltschutz wird von 35 Prozent und soziale Sicherung von 22 Prozent als eines der beiden wichtigsten Aufgabenfelder angegeben. 64 Prozent der Befragten fordern mehr Engagement für den Umweltschutz durch die Politik.[92] Rund ein Viertel sieht Umwelt- und Klimaschutz als grundlegende Bedingung für die Sicherung von Wohlstand, sozialer Gerechtigkeit und Wettbewerbsfähigkeit an.[93] Das Engagement einzelner Akteure für den Klimaschutz wird überwiegend negativ bewertet. Ein ungenügender Beitrag wird von 50 Prozent den Städten und Gemeinden, von 54 Prozent der Regierung, von 49 Prozent den Bürgern und von 86 Prozent der Industrie zugesprochen. Die wahrgenommene Umweltqualität des Umfeldes wird überwiegend positiv bewertet, während 79 Prozent die weltweite Qualität tendenziell schlecht einschätzen.[94]
Ein Großteil bezeichnet Elektrofahrzeuge als umweltfreundlich und eine interessante Alternative, bemängelt demgegenüber aber hohe Preise und fehlende Informationen über Elektromobilität. Das Konzept des Car-Sharing wird ebenfalls als sinnvolle Alternative betrachtet, trotzdem nur von 36 Prozent als attraktiv empfunden.[95] Umweltentlastende Maßnahmen wie Ausbau öffentlicher Verkehrsnetze, Tempolimit auf Autobahnen oder City-Maut stoßen auf überwiegende Zustimmung – aber nur dann, wenn daraus keine persönlichen Nachteile erwachsen würden.[96]
Beim Kauf von Lebensmitteln sollten die Teilnehmer drei aus zehn Kriterien auswählen, welche ihnen persönlich wichtig sind. Folgende Auswahl wird getroffen: Frische (64 %), Qualität (46 %), Preis (44 %), Zusatzstoffe (30 %), Regionalität (24 %), lange Haltbarkeit (22 %), Saisonalität und einfache Zubereitung (je 18 %), fairer Handel (8 %) und Bio-Produkte (6 %). Basierend auf der Beziehung zwischen den Kriterien wird zudem eine Segmentierung der Konsumenten in funktionales (38 %), traditionsorientiertes (31 %) und qualitätsbewusst-ethisches (31 %) Kaufverhalten vorgenommen.[97] Obwohl dem Kriterium Bio-Produkte die geringste Bedeutung beigemessen wird, geben elf Prozent an regelmäßig und 28 Prozent an gelegentlich Bio-Produkte zu kaufen, wobei Lebensmittel- oder Umweltskandale als ausschlaggebender Faktor genannt werden. Als Hauptgründe gegen einen Kauf von Bio-Produkten stellen sich ein zu hoher Preis, mangelndes Interesse und Skepsis gegenüber der Einhaltung der Label-Versprechen heraus.[98]
In der privaten Haushaltsführung sind nachhaltiges und umweltschonendes Verhalten deutlich etablierter. Der überwiegende Teil gibt an, die Nutzung von Strom, Wasser und Heizung möglichst gering zu halten, wobei auch hier Kostenersparnis die wichtigste Motivation ist. Während der Energieverbrauch bei elektronischen Geräten von relativ hoher Bedeutung ist, haben Nachhaltigkeits- und Umweltkriterien beim Kauf von Pkws eine untergeordnete und bei Möbeln und Urlaubsreisen eine sehr geringe Rolle.[99]
Die Ergebnisse machen deutlich, dass ein breites Bewusstsein für die Notwendigkeit von Umweltschutz und nachhaltiger Entwicklung besteht. Mangelndes Engagement zur Verbesserung wird dabei vor allem der Industrie, aber auch den Verbrauchern selbst vorgeworfen. Zudem sehen die Verbraucher die Politik in der Pflicht, negativen Entwicklungen entgegenzutreten. Bei konkreten Fragestellungen zum individuellen Verhalten zeigt sich hingegen, dass in vielen Fällen opportunistische Beweggründe das vorrangige Kriterium sind, da eine individuell verursachte Belastung oder Gefährdung der Umwelt nur wenig wahrgenommen wird.[100] Das wichtigste Argument scheint in diesem Kontext der Kostenfaktor zu sein. Es findet demnach nur ein geringer Transfer allgemeiner Einstellungen und Werte auf konkrete Situationen statt.
Zieht man zum Vergleich tatsächliche Absatzwerte heran zeigt sich, dass das realisierte Kaufverhalten zudem deutlich geringer als die Einstellung ist. Beispielsweise geben 20 Prozent der Befragten an Ökostrom beziehen zu wollen, obwohl der Ökostrom-Anteil im selben Zeitraum nur bei 11,7 Prozent...