Mittelständische Unternehmen sind unbestritten die tragende Säule der deutschen Wirtschaft. Innovative Produkte und umfassende Aktivitäten im In- und Ausland sind längst keine Domäne von Großkonzernen mehr. Auch der deutsche Mittelstand hat sich dem globalen Wettbewerb gestellt und nimmt - teils als Marktführer, teils als Nischenplayer - an der Globalisierung teil. Umgekehrt muss er sich aber auch den Auswirkungen der Globalisierung stellen. Dies betrifft nicht nur den Wettbewerb um Technologie und Absatzmärkte, sondern auch um den Zugang zu Kapital. Verschärfter Wettbewerb, zunehmende Marktdynamik und stärkere konjunkturelle Schwankungen lassen die Risiken unternehmerischen Handels und damit verbunden auch die Risiken für die Kapitalgeber steigen. Der Zugang zu ausreichenden Mengen an Kapital zu wettbewerbsfähigen Konditionen dürfte für viele mittelständische Unternehmen zu einem existentiellen Wettbewerbsfaktor geworden sein.[1] Die schwere weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008/2009 und der schon vorher einsetzende Umbruch in der Bankenlandschaft als Folge der Einführung von Basel II und Basel III haben deutlich gemacht, dass dem Zugang zu Kapital und dem Aufbau von Finanzierungsalternativen abseits der klassischen Hausbank eine wachsende Bedeutung zukommt. Als alternative Finanzierungsquelle neben dem klassischen Hausbankkredit gewinnt hierbei der direkte Zugang zum Kapitalmarkt an Bedeutung.[2]
Die vorliegende Arbeit will vor diesem Hintergrund die Möglichkeiten und Voraussetzungen für die Finanzierung mittelständischer Unternehmen am Kapitalmarkt betrachten. Hierzu soll aufgezeigt werden, (1) unter welchen Voraussetzungen sich mittelständische Unternehmen über den Kapitalmarkt finanzieren können, (2) welche Instrumente der Kapitalmarktfinanzierung durch den Mittelstand genutzt werden bzw. zusätzlich für ihn in Frage kommen, und (3) welche Auswirkungen deren Nutzung möglicherweise auf tradierte Ansichten und Strategien der Unternehmen hat.
Die Unternehmensfinanzierung ist eines der zentralen Themen der Betriebswirtschaftslehre. Entsprechend umfangreich ist die Bandbreite des vorhandenen Materials. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf die am öffentlichen und privaten Kapitalmarkt gehandelten langfristigen Finanzierungsinstrumente, die für kapitalmarktorientierte mittelständische Unternehmen infrage kommen. Nicht behandelt werden die Investitionsrechnung und Spezialthemen wie Projekt- und Immobilienfinanzierung, Asset Backed- Securities sowie die Instrumente der kurzfristigen Unternehmensfinanzierung.
Im Rahmen der Einleitung in Kapitel A werden zunächst die zu untersuchende Problemstellung und das Ziel dieser Arbeit erläutert sowie die zentralen Untersuchungsbegriffe "Kapitalmarktorientierung" und "mittelständische Unternehmen" definiert. Im Anschluss daran werden im Kapitel B die Grundlagen der Unternehmensfinanzierung erläutert. Kapitel C beschäftigt sich mit dem Wandel in der Finanzierung mittelständischer Unternehmen, hier insbesondere mit den Schwächen des bisherigen Finanzierungsverhaltens und dem geänderten Finanzierungsverhalten der Banken. Die dabei zu erkennenden Interdependenzen werden zusammen mit den zu beobachtenden Veränderungen im Finanzierungsverhalten mittelständischer Unternehmen herausgearbeitet und aufgezeigt, wie eine kapitalmarktorientierte Finanzierung Ansatzmöglichkeiten zur Deckung des Finanzierungsbedarfs bieten könnte. Voraussetzung für eine erfolgreiche Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt ist die Kapitalmarktfähigkeit des Unternehmens, die in Kapitel D dargestellt wird.
In Kapitel E werden ausgewählte Instrumente für die kapitalmarktorientierte Finanzierung vorgestellt und untersucht, inwieweit diese für die Bedürfnisse mittelständischer Unternehmen geeignet sind. Als Finanzierungsinstrumente werden dabei die klassische Aktienemission, die Emission von sog. Mittelstandsanleihen sowie das Schuldscheindarlehen und das Spektrum der hybriden (mezzaninen) Finanzierungsinstrumente näher erläutert. Obwohl von den rd. 3,2 Mio. Unternehmen in Deutschland weniger als 1.000 Börsennotiert sind,[3] wird auch die Aktienemission ausführlich betrachtet. Grund hierfür ist, dass eine Aktienemission Zugang zu dauerhaftem Eigenkapital bietet und neu geschaffene Börsensegmente gerade auch mittelständischen Unternehmen kleinere Emissionsvolumen ermöglichen. Kapitel F gibt einen Überblick über die Folgen einer kapitalmarktorientierten Finanzierung, die in ihren Ausprägungen unterschiedlich ausfallen. Die Arbeit schließt in Kapitel G mit einem Fazit und einem Ausblick.
a) Kapitalmarkt
Der Begriff Kapitalmarkt wird in der Fachliteratur nicht einheitlich verwendet. Ausgehend vom Obergriff Finanzmarkt wird zwischen den drei Untergruppen Geldmarkt, Kapitalmarkt sowie den Markt für Finanzderivate unterschieden.[4] Gegenstand des Geldmarktes ist die kurzfristige Überlassung von Geld; unter Kurzfristig ist dabei ein Zeitraum von bis zu zwölf Monaten zu verstehen. Demgegenüber wird am Kapitalmarkt mittel- und langfristig Geld überlassen, mit Laufzeiten von mehr als zwölf Monaten. Der Markt für Finanzderivate umfasst bestimmte Finanzprodukte, die ergänzend zu den Kapitalüberlassungen auf den anderen genannten Finanzmärkten verwendet werden.[5]
Im Kern definiert die Bezeichnung Kapitalmarkt einen Marktplatz, der den Handel von Kapital zwischen verschiedenen Marktteilnehmern ermöglicht, wobei sich die Preise durch Angebot und Nachfrage bestimmen. Grenzt man die Märkte nach den Teilnehmern, den Handelsplätzen und den Handelsregularien ab, kann man weiter in öffentliche und private Kapitalmärkte unterscheiden.[6] Der Begriff Kapitalmarkt kann noch nach weiteren Kriterien unterschieden werden. Hinsichtlich der Organisationsform wird zwischen dem börslichen und außerbörslichen Kapitalmarkt unterschieden. Weiterhin kann zwischen dem Primär- und Sekundärmarkt unterschieden werden. Am Primärmarkt werden neu emittierte Wertpapiere zwischen Emittenten und Investoren gehandelt, während am Sekundärmarkt Investoren mit bereits emittierten Wertpapieren handeln.[7]
Abbildung 1: Unterscheidung öffentlicher und privater Kapitalmarkt[8]
Der Kapitalmarkt umfasst Eigen- und Fremdkapitalinstrumente. Während Eigenkapitalinstrumente überwiegend in Form von Wertpapieren auf öffentlichen Kapitalmärkten gehandelt werden, müssen Fremdkapitalinstrumente nicht zwingend in Wertpapieren verbrieft sein. Wertpapierverbriefte Fremdkapitalinstrumente sind beispielsweise Schuldverschreibungen wie Anleihen und Obligationen.[9] Dagegen werden Schuldscheindarlehen und Mezzaninekapital nicht auf öffentlichen, sondern privaten Kapitalmärkten zwischen einem begrenzten Kreis überwiegend institutioneller Investoren gehandelt, bei denen Banken nicht als Kapitalgeber, sondern überwiegend als Intermediäre fungieren.[10] Obwohl man hier auch von kapitalmarktnahem Fremdkapital spricht, sollen diese Instrumente in der vorliegenden Arbeit in Abgrenzung zum klassischen Bankkredit den Kapitalmarktinstrumenten zugeordnet werden. Dies erscheint nach der hier vertretenen Auffassung auch sachgerecht, da sie mittlerweile eine eigene Anlageklasse darstellen und sich für sie ein eigener Markt etabliert hat.[11]
b) Kapitalmarktorientierung
aa) Gesetzliche Definition
Der Begriff Kapitalmarktorientierung wird von § 264d HGB verwendet. Danach ist eine Gesellschaft kapitalmarktorientiert, wenn sie einen organisierten Markt i.S.v. § 2 Abs. 5 WpHG durch von ihr ausgegebene Wertpapiere i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 WpHG in Anspruch nimmt. Die Norm findet auf Kapitalgesellschaften und ihnen nach § 264a HGB gleichgestellte Personengesellschaften Anwendung. Wertpapiere sind Aktien und vergleichbare Anteile an juristischen Personen und Personengesellschaften sowie Schuldtitel wie Genussscheine und Inhaberschuldverschreibungen.[12] Durch die Beschränkung auf Wertpapiere und organisierte - also öffentliche - Märkte werden der private Kapitalmarkt und die dort gehandelten Finanzinstrumente nicht von dieser Vorschrift erfasst. Daher erscheint die von § 264d HGB verwendete Definition der Kapitalmarktorientierung für die vorliegende Arbeit nicht geeignet.
bb) Kapitalmarktorientierung nach dem Shareholder Value-Gedanken
Auch die Ableitung der Kapitalmarktorientierung aus dem Shareholder Value- Gedanken, nach dem sich ein Unternehmen zu einer Strategie bekennt, welche die Steigerung des Unternehmenswertes in den Mittelpunkt stellt, ist für die vorliegende Arbeit nur bedingt geeignet. Denn eine solche Ausrichtung der Unternehmensstrategie ist primär für Unternehmen, die Aktien emittiert haben, von Bedeutung. In dieser Arbeit sollen aber...