Zur mentalen Wettkampfvorbereitung gehören eine ganze Reihe von Techniken und Verfahren. In diesem Übersichtskapitel soll zunächst einmal eine Struktur in diese Mentaltechniken gebracht werden. Ziel ist es, das Prinzip der mentalen Wettkampfvorbereitung zu verstehen, damit du dir aus den nachfolgenden Kapiteln deine Bausteine für deine ganz persönliche mentale Vorbereitung aussuchen kannst.
Worum geht es bei der mentalen Wettkampfvorbereitung?
Seine Leistung im Wettkampf abzurufen, ist oft extrem schwierig. Warum?
Im Wettkampf liegt eine ganz andere Bedingung vor als im Training! Der Wettkampf ist eine Art Prüfungssituation, wo «Leistung auf Abruf» gefordert ist. Im Gegensatz zum Training, wo es darum geht, sich eine bestimmte Leistung anzutrainieren.
- gewohnter Ort | - ungewohnter Ort |
- gewohnte Trainingszeit | - ungewohnte Zeit |
- die gleichen Personen | - unbekannte Gesichter |
- gewohntes Klima | - ungewohntes Klima |
- Trainingskleidung | - Wettkampfkleidung, Startnummer |
- unbeobachtet | - unter Beobachtung: Medien, Kameras, Journalisten |
- alleine | - viele Zuschauer sind anwesend |
- ohne Gegner | - viele Gegner, Gegner wollen auch gewinnen |
- Startzeit selbst bestimmen | - Zeitdruck, man wird aufgerufen, Zeitnahme durch andere |
- ausprobieren, lernen | - Prüfungssituation, Leistung abrufen, jetzt zählt es |
- viele Trainingseinheiten | - nur dieser eine Versuch, auf den es ankommt |
- ohne Konsequenzen | - vom Ergebnis hängen bedeutende Konsequenzen ab (pos/neg) |
Bei der mentalen Wettkampfvorbereitung geht es also zunächst einmal ganz grundlegend darum, sich an die spezielle Wettkampfbedingung zu gewöhnen. Psychologisch gesehen ist diese Gewöhnung extrem wichtig! Leider wird das viel zu oft unterschätzt oder nicht ernst genug genommen.
Um es einmal etwas deutlicher auszudrücken: Wer sich nicht an die spezielle Wettkampfsituation gewöhnt hat, braucht sich eigentlich nicht zu wundern, wenn er weit hinter seiner erwarteten Leistung zurückbleibt!
Merke!
Sich an die Wettkampfbedingung zu gewöhnen, ist genauso wichtig wie das Konditions- oder Techniktraining!
Wie gewöhne ich mich an die Wettkampfbedingung?
Das ist sicher nicht ganz einfach, denn auch wenn man hier viel Kreativität zeigt, es bleibt letztlich immer «nur» Training. Das lässt sich nicht wegdenken. Manche Aspekte können auch gar nicht simuliert werden, z.B. kann ich nicht 40.000 Zuschauer zum Training einladen, um mich an die Atmosphäre eines Bundesliga-Fußballspiels zu gewöhnen… Aber es ist eine Einstellungssache!
Frage?
Trainiere ich einfach nur so zum Spaß – oder nehme ich diese Trainingseinheit genauso ernst als wäre es jetzt das Olympiafinale?
Der Punkt ist, dass man überhaupt erst einmal erkennt, wie wichtig diese Wettkampfsimulationen im Leistungssport sind und dass man in den letzten Wochen vor einem Wettkampf besser fährt, wenn man keine technischen Verbesserungen mehr vornimmt oder weitere Konditionssteigerungen anstrebt, sondern stattdessen nur noch das aktuelle Leistungsvermögen für den Wettkampf mental stabilisiert. Mehr nicht!
Methodenübersicht: Gewöhnung an die Wettkampfbedingung
Einstellungssache: «Trainingsernst = Wettkampfspaß»
- das Training so ernst nehmen als wäre es jetzt der Wettkampf (reinsteigern in diese Simulation)
- sich professionell auf eine Trainingseinheit vorbereiten: die Trainingsvorbereitung genauso ernst nehmen wie die Wettkampfvorbereitung
- in Wettkampfkleidung trainieren
- sich beim Training beobachten lassen: Zuschauer zum Training einladen, in der Öffentlichkeit trainieren
- das Training auf Video aufnehmen
- an einem unbekannten Ort trainieren
- gleiche Ernährung wie vor dem Wettkampf
- zu einer ungewohnten Zeit trainieren
- nur 1 Versuch, der zählt (mit Bestrafung falls der Versuch misslingt oder Belohnung falls er gelingt)
- echte Störungen ins Training einbauen, z.B. unter Musikeinspielung trainieren, Verzögerung/Ablenkung
- usw./der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt, Hauptsache das Prinzip ist verstanden worden:
Gewöhn dich gefälligst im Training an die spezielle Wettkampfbedingung!
War das alles? Mehr gehört nicht dazu?
Nun ist in der Praxis immer ein Phänomen zu beobachten: Sportler, die sich in der letzten Phase der Vorbereitung konsequent auf den Wettkampf einstellen, also eigentlich alles richtig machen und nur noch daran arbeiten, ihre aktuelle Leistung unter Wettkampfbedingungen zu zeigen, können trotzdem im Wettkampf nicht das zeigen, wozu sie eigentlich aufgrund ihrer Trainingsleistung fähig wären. Die Sache mit der mentalen Vorbereitung ist scheinbar komplexer, als nur die Gewöhnung an die Wettkampfbedingung.
Das stimmt: Nur etwa 35% aller Leistungssportler erreichen ihre Bestleistung zum geplanten Zeitpunkt (vgl. FRESTER & WÖRZ, 1997, S. 7). Die Leistungseinbußen vom Training zum Wettkampf liegen im Profibereich bei ca. 5-10%. Woran liegt das? Überlege dir einmal, von welchen Faktoren deine Leistung am Wettkampftag abhängt?
Übung 3
Die sportliche Leistung im Wettkampf ist das Ergebnis von folgenden Faktoren:
Es sind unendlich viele Faktoren: aktuelles technisches Niveau, Kondition, Ernährung, Material, Taktik/Spielverständnis, mentale Stärke, Wetter/Klima, Schiedsrichter, Zuschauer, allg. Gesundheitszustand, soziales Umfeld (insbesondere Schule/Beruf/Freund/Freundin/Eltern), finanzielle Situation (auch: Zukunftssorgen bei Profis) …
Diese einzelnen Faktoren sind aber auch wieder nur Überbegriffe, die sich aus vielen, vielen Unterpunkten zusammensetzen:
Technik (Beispiel Fußball): Ballannahme, Finte, Kopfball, Elfmeter, Freistoß, Pass …
Kondition: Grundlagenausdauer, Maximalkraft, Schnelligkeit, Kraftausdauer, Beweglichkeit …
Es sind so viele Einflussfaktoren, die auf meine Leistung am Wettkampftag wirken, dass ich unmöglich alles genau analysieren und aufklären kann.
Und noch etwas kommt hinzu: In einem biologischen System hängen alle Faktoren stets zusammen und sind nicht unabhängig voneinander zu betrachten. Wenn ich an einer Schraube drehe, beeinflusse ich damit stets das gesamte System und nicht nur diese eine Funktionseinheit.
Die Ernährung wirkt auf die Kondition, aber auch auf den mentalen Bereich (Konzentrationsschwierigkeiten bei Flüssigkeitsmangel). Die Technik wirkt auf die mentale Stärke – aber die mentale Stärke wirkt auch auf die Technik: Mental starke Sportler können ihre Trainingsleistung besser im Wettkampf abrufen als mental schwache Sportler. Probleme im Umfeld wirken auf die Erholung… usw.
Frage?
Was machen wir also, wenn wir uns auf etwas vorbereiten sollen, aber die einzelnen Erfolgsfaktoren und deren Zusammenhänge gar nicht alle kennen können?
Antwort!
Wir versuchen alle Einzelfaktoren so gut wie möglich zu optimieren und ergänzen den Rest dann intuitiv, aus dem Bauch heraus, aufgrund unserer Erfahrung (was z.B. in der Vergangenheit gut lief, was dir guttut).
Merke!
Du versuchst also, von Wettkampf zu Wettkampf dein ganz persönliches Erfolgsgeheimnis immer besser kennenzulernen!
Genau das ist der Prozess der mentalen Wettkampfvorbereitung!
Ich fasse zusammen:
Mentale Wettkampfvorbereitung im engeren Sinne ist die Gewöhnung an die Wettkampfsituation.
Dazu gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten, der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt und es ist wichtig, sich in den letzten Wochen vor einem Wettkampf an diese besonderen Umstände zu gewöhnen (wird oft unterschätzt!). Das alleine macht noch keine systematische und erfolgreiche mentale Wettkampfvorbereitung aus. Ein Wettkampf ist immer nur eine Stufe im langfristigen...