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E-Book

Moshé Feldenkrais

Der Mensch hinter der Methode

AutorChristian Buckard
VerlagBerlin Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783827078421
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
In einer kalten Winternacht des Jahres 1918 besteigt der 14-jährige Moshé Feldenkrais in seiner umkämpften ukrainischen Heimatstadt einen Pferdekarren und wird von einem Schmuggler durch ein gefährliches Sumpfgebiet nach Polen gebracht. Seine abenteuerliche Odyssee führt ihn auf die staubigen Baustellen Tel Avivs und mitten hinein in die Straßenkämpfe mit feindlichen Arabern, in das Radium-Institut des Ehepaars Joliot-Curie in Paris, das London des »Blitz« und in die geheime Anti-U-Boot-Forschungsabteilung Churchills im Norden Schottlands. Dank seiner Freundschaft mit dem Judo-Erfinder Jigoro Kano und einer vermeintlich unheilbaren Knieverletzung entdeckt der promovierte Ingenieur, was Gehirnforscher erst seit wenigen Jahren belegen können: dass Körper und Geist eine Einheit bilden, dass es eine 'Muskulatur der Seele' gibt und das Gehirn durch bestimmte Bewegungsabläufe beeinflusst werden kann. Christian Buckard erzählt die faszinierende Geschichte jenes Mannes, der das bewusstheitsschärfende Potenzial der leichten Bewegung entdeckte. Seine Methode hilft heute weltweit kranken und gesunden Menschen, ihre Möglichkeiten zu erforschen.

Christian Buckard, geboren 1962, freier Autor und Journalist für Funk und Fernsehen, studierte Judaistik und Niederländische Philologie in Jerusalem, Amsterdam und Berlin. 2004 veröffentlichte er eine hochgelobte Biographie über Arthur Koestler, 2015 über Moshé Feldenkrais. 2012 erhielt er den Deutsch-Französischen Journalistenpreis. Christian Buckard lebt in Berlin.

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Leseprobe

1  |  Kopfstand in Zion

An einem Septembermorgen des Jahres 1957 legen sich die Journalistin Tikvah Weinstock und ein Fotograf am Strand des israelischen Badeorts Herzliya auf die Lauer. Ihr Auftrag ist es, ein Foto von David Ben-Gurion, dem siebzigjährigen Staatsgründer und Premierminister, zu schießen. Ein besonderes Foto soll es werden, denn die Zeitung Maariv hat erfahren, dass sich der notorisch unsportliche Ben-Gurion angewöhnt hat, am Strand gegenüber dem Hotel Ha-Sharon auf dem Kopf zu stehen. Um 9:30 Uhr, nach zwei Stunden Wartezeit, erspähen die Journalisten die Gestalt des stämmigen und weißhaarigen Ben-Gurion, der in Begleitung seiner beiden Leibwächter das Hotel verlässt. Der Premierminister trägt leichte Baumwollkleidung. Er hat offensichtlich noch nicht vor, zum Strand hinunterzugehen. Zuerst steht ein Morgenspaziergang der energischen Art auf dem Programm. In einem Restaurant am Strand weiß man Bescheid: Ben-Gurion wird erst gegen Mittag an den Strand gehen.

Kurz nachdem der Premierminister gegen 12:00 Uhr ins Hotel zurückgekehrt ist, tritt seine Ehefrau Pola vor den Eingang. Dann marschiert sie zum Strand hinunter. Die Journalisten wagen es, sich der Frau im Badeanzug zu nähern. Sie haben Glück, denn Pola ist offensichtlich in Urlaubsstimmung und daher ungewöhnlich gesprächig. »Das mit dem Kopfstand«, erzählt sie,

ist wirklich eine ungewöhnliche Sache. Die Idee dahinter ist, dass beim Kopfstand Herz und Lungen besser durchblutet werden. Diese Methode stammt von Dr. Feldenkrais. Er ist Spezialist, wenn es um die Beziehung zwischen Körper und Geist geht. Er sagt, dass man über das Gehirn jeden Muskel des Körpers bewegen kann. Ben-Gurion ist sicher, dass Feldenkrais ihm sehr geholfen hat. Ich selbst mache keinen Kopfstand. Dafür ist mein Kopf zu klein. Ich bin schon froh, wenn ich auf den Beinen stehen kann.1

Im November des vorangegangenen Jahres hatte das noch anders geklungen. Da war die resolute gelernte Krankenschwester Pola noch überzeugt gewesen, dass Dr. Moshé Feldenkrais – den sie »Mr. Hokuspokus« nannte – nur die wertvolle Zeit ihres vielbeschäftigten und leidgeplagten Ehemanns verschwende.2 Schon in seiner Jugend hatte Ben-Gurion unter Rückenschmerzen gelitten, doch seit einigen Jahren traten Anfälle von Lumbago, dem sogenannten Hexenschuss, in immer kürzeren Abständen auf. Die Schmerzen waren mitunter so schlimm, dass er das Bett hüten musste. Nicht genug damit, war Ben-Gurion 1955 zeitweise unfähig gewesen, vom Bett aufzustehen, ohne sofort von Schwindel gepackt zu werden. Auch wenn diese Schwindelanfälle schließlich verschwunden waren, so hatte der Premierminister aufgrund des Lumbago doch zunehmend Schwierigkeiten, in ein Auto zu steigen, und konnte sich vor aller Augen nur noch mit Mühe aus seinem Stuhl in der Knesset erheben. Auf Auslandsreisen erhielt er Spritzen, damit er nicht unter den Schmerzen zusammenbrach. Keiner seiner Ärzte hatte ihm dauerhaft helfen können. Schmerzmittel und ein Stützkorsett, das war die einzige Therapie, die ihnen eingefallen war.3 Und als ihn Anfang November 1956 ein neuer schlimmer Anfall von Lumbago ans Bett fesselte, war Ben-Gurions Energie mehr denn je gefordert: Die israelische Armee kämpfte sich Richtung Suezkanal vor, um die Meerenge von Tiran wieder für israelische Schiffe passierbar zu machen und um gegen die Terroristen vorzugehen, die von Gaza aus fast wöchentlich Israelis ermordeten. Die Aktion war in Koordination mit Großbritannien und Frankreich geplant worden, doch drängte der US-Präsident die Israelis zum Rückzug, und die Sowjetunion drohte mit einer Intervention im Nahen Osten, sogar mit der Bombardierung von Paris und London.4 Und ausgerechnet in dieser angespannten politischen Situation war Ben-Gurion unfähig, auch nur das Haus zu verlassen. Jetzt plagten ihn nicht nur Rückenschmerzen, er litt sogar an einer Lungenentzündung.

Ben-Gurions Freund, Professor Aharon Katzir, besuchte den Premierminister in dessen Haus auf dem Keren-Hakayemet-Boulevard und schlug ihm vor, sich an Dr. Feldenkrais zu wenden.5 Ben-Gurion erinnerte sich, dass er den Namen schon einmal gehört hatte: Einige Jahre zuvor hatte er einen Brief erhalten, in dem ihm ein besorgter Bürger ebenfalls geraten hatte, einen »Dr. Feldenkrais« um Hilfe zu bitten. Er hatte den Brief nicht ernst genommen und weggeworfen. Etwas anderes war es jedoch, wenn Professor Katzir, einer der angesehensten Wissenschaftler Israels, überzeugt von Feldenkrais’ Methode war.6 Vor wenigen Jahren, so konnte Katzir Ben-Gurion erzählen, sei Feldenkrais extra aus London nach Israel geflogen, um den angeblich unheilbar kranken Bruder eines gemeinsamen Bekannten erfolgreich zu behandeln.7 Auch Israels berühmteste Schauspieler Aharon Meskin und Chanah Rovinah sowie Katzir selbst nahmen schon seit Jahren bei Feldenkrais Unterricht. Und welche Wahl hatte der Premierminister schon, da doch die Schulmedizin mit seinem Fall heillos überfordert schien? Entgegen den Warnungen Polas und seiner Ärzte teilte Ben-Gurion dem besorgten Katzir schließlich mit, dass er vielleicht bereit sei, dem promovierten Ingenieurwissenschaftler Feldenkrais eine Chance zu geben.8

Wenige Tage später erschien Katzir wieder in Ben-Gurions Tel Aviver Haus. In seiner Begleitung befand sich ein mittelgroßer, breitschultriger Mann mit freundlichem, breitem Gesicht und den kräftigen Händen eines Bauarbeiters. Offensichtlich war er nicht nur ein Mann des Geistes, sondern auch der Tat. Und obwohl der Mann fließend Hebräisch sprach, verriet sein Akzent, dass er – wie Ben-Gurion selbst – ein osteuropäischer Jude war.

Ben-Gurion war ein Mann, der stets ohne Umschweife zur Sache kam: »Ich habe das größte Vertrauen in Aharon«, sagte er zu Feldenkrais, »aber wie willst du mich davon überzeugen, dass deine Methode wirklich gut ist?« Moshé Feldenkrais akzeptierte Ben-Gurions Skepsis und antwortete ruhig: »Ich kann viele Namen von Leuten nennen, die du kennst und die bei mir gelernt haben. Dann kannst du überlegen, wen davon du befragen möchtest. Oder ich gebe dir Dankes- und Lobesbriefe von anderen ziemlich berühmten Menschen, die bei mir gelernt haben. Oder ich gebe dir meine Bücher zum Lesen. Oder aber du entscheidest dich dafür, meine Methode direkt von mir zu lernen.«

»Und wie lange müsste ich bei dir lernen?«

»Da du kein junger Mann mehr bist und dein Gesundheitszustand auch nicht allzu gut ist, bräuchtest du schon siebzig Unterrichtsstunden«, räumte Feldenkrais ein. »Wenn du aber gar nicht erst vorhast, wirklich alle Termine einschließlich des letzten wahrzunehmen, dann rate ich dir, gar nicht erst mit dem Unterricht anzufangen. Aber«, so fügte er hinzu, »vielleicht bist du ja auch schon zu alt, um dich zu ändern.«9

Dieser letzte Satz war eine gezielte Provokation, denn Feldenkrais war zutiefst überzeugt davon, dass Menschen jeden Alters dazulernen und sich verbessern können. Und vielleicht hatte er instinktiv gespürt, was Ben-Gurion wirklich Sorgen bereitete: die vermeintlich unaufhaltbaren und naturbedingten körperlichen und geistigen Verfallserscheinungen des Alters; das Gefühl, so viel tun zu müssen und gemessen an der Größe der Aufgaben kaum noch Zeit dafür zu haben. Ungeachtet seiner Erfolge stand auch der 52-jährige Feldenkrais selbst zu diesem Zeitpunkt erst am Anfang seiner Pionierarbeit. Auch er musste befürchten, dass ihm keine Zeit mehr bliebe, seine ambitionierten Träume zu verwirklichen. Aber vielleicht würde er einen entscheidenden Schritt weiterkommen, wenn es ihm gelang, Ben-Gurion als Schüler zu gewinnen? Dass er dem Staatsgründer helfen konnte, sich selbst zu helfen, daran dürfte Feldenkrais keine Sekunde gezweifelt haben. Und eine Ehre würde es sowieso sein, Ben-Gurion als Schüler zu haben: Mochten viele Israelis auch über den »Alten« schimpfen und seine Politik kritisieren, so war der weißhaarige Ben-Gurion doch derjenige, der das Unmögliche möglich gemacht und den jüdischen Staat gegründet hatte. Ein sozialistischer Messias in kurzen Khakihosen. Ein Vater, gegen den man rebelliert. Aber eben doch ein Vater.

Ben-Gurion erklärte sich einverstanden, es mit Feldenkrais zu probieren. Er schlug vor, jeden Tag eine Stunde Unterricht bei ihm zu nehmen. Moshé bezweifelte, dass er über zwei Monate lang jeden Tag Zeit für den Premierminister haben würde, doch Ben-Gurion ließ diesen Einwand nicht gelten: »Ich habe jeden Tag Zeit, dich zu sehen, und ich bin genauso beschäftigt wie du!«10 Noch Jahre später schwärmte Feldenkrais:

Seine eigenen Fähigkeiten zu verbessern, das erfordert Zeit. Ohne die Beherrschung der Zeit gibt es kein Wissen, keine Liebe und keine Verbesserung des Könnens. Das Erste, was mich bei unserem Kennenlernen völlig verblüffte, war, wie viel freie Zeit sich Ben-Gurion nimmt. Dieser Mann, der ja wirklich nicht wenig zu tun hat, findet jeden Tag noch viele Stunden Zeit zu lernen und zu lesen. […] Seine Fähigkeit, die Arbeit liegen zu lassen und sich augenblicklich einer anderen Sache zuzuwenden, ist wirklich ganz erstaunlich. Das muss man gesehen haben.11

Schon wenige Tage nach ihrer ersten Begegnung wurde Feldenkrais Zeuge, wie souverän und lässig sich Ben-Gurion Zeit nahm: Während Levi Eshkol und andere Minister im Salon seines Hauses auf einen Anruf des US-Präsidenten Eisenhower warteten, erschien Moshé zur verabredeten Unterrichtsstunde. Sofort gingen Ben-Gurion und sein Lehrer zum »Feldenkrais-Unterricht« in den ersten Stock....

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