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E-Book

Selbstbehandlung und Selbstmedikation

VerlagHogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl402 Seiten
ISBN9783844426885
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis35,99 EUR
Viele Menschen nutzen bestimmte Formen der Selbstbehandlung, sei es bei körperlichen oder psychischen Erkrankungen oder auch zur Prävention und Rehabilitation. Insbesondere wird dabei auf nicht verschreibungspflichtige Medikamente zurückgegriffen. Die Beiträge des vorliegenden Bandes setzen sich aus verschiedenen Blickwinkeln und unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Befunde mit diesem Thema auseinander. Zunächst gibt der Band in mehreren Kapiteln einen Überblick über den allgemeinen Medikamentengebrauch bei verschiedenen Patientengruppen. Anschließend wird auf die Selbstbehandlung und Selbstmedikation bei verschiedenen Indikationen wie z.B. Kopfschmerzen, Suchterkrankungen, Zwangs- und Essstörungen eingegangen. Weitere Kapitel diskutieren die Selbstbehandlung im Rahmen der sogenannten komplementär-alternativen Medizin sowie den Einsatz von kreativen Verfahren wie Musik-, Schreib-, Tanz- und Bibliotherapie. Abschließend werden Aktivitäten der Selbsthilfe wie die Nutzung von Ratgeberliteratur und Selbsthilfegruppen im realen und virtuellen Setting thematisiert. Der Band bietet somit Informationen und Hilfestellungen für alle Personen, die in der Behandlung und Beratung von Patienten tätig sind, sowie für Menschen, die generell an ihrer Gesundheit interessiert sind.

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Leseprobe

|13|Arzneimittelverbrauch in Deutschland


Gerd Glaeske

1 Einführung


Eine wirksame Arzneimitteltherapie ist, wenn sie richtig angewendet wird, eine der wirksamsten Möglichkeiten, Krankheiten vorzubeugen und zu behandeln; ihr Nutzen ist auch in Studien belegt worden. Es kann daher nicht erstaunen, dass der Arzneimittelkonsum von der Häufigkeit bestimmter Erkrankungen abhängt, vom Alter der Menschen und von den immer breiteren Möglichkeiten, früher noch nicht gut behandelbare Krankheiten nun erfolgreich heilen zu können. Mittel zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen stehen in den Verbrauchsstatistiken an erster Stelle, gefolgt von Antibiotika und Mitteln gegen rheumatische Beschwerden. Auf den nächsten Plätzen folgen Arzneimittel zur Behandlung von Schmerzen, von Magen-Darm-Geschwüren, von Asthma, Mittel für Menschen mit Diabetes, Schilddrüsenpräparate oder Psychopharmaka (Schwabe & Paffrath, 2014). Neben Medikamenten zur Behandlung von Volkskrankheiten gibt es inzwischen auch neue wirksame Mittel zur Behandlung von kleineren Patientengruppen, die z. B. unter Multipler Sklerose, Psoriasis, AIDS oder Hepatitis C leiden.

2 Das Angebot an Arzneimitteln


Insgesamt waren Anfang 2015 nach Angaben des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) 100566 Arzneimittel auf unserem Markt „verkehrsfähig“, also zugelassen oder registriert (BfArM, 2015, ohne Angabe der sogenannten Standardzulassungen für Arzneimittel, die z. B. in Krankenhäusern hergestellt werden). Unter diesen Arzneimitteln entfielen 46898 auf rezeptpflichtige Präparate, 19624 auf rezeptfreie, die nur in Apotheken verkauft werden dürfen („apothekenpflichtig“), wie z. B. Schmerzmittel, und 32563 frei verkäufliche, die auch in Supermärkten oder Drogerien angeboten werden (z. B. Vitaminpräparate oder Tees). Weitere 1468 sind Medikamente, die nur auf einem Betäubungsmittelrezept verordnet werden dürfen wie z. B. stark wirksame Schmerzmittel (morphinhaltige Mittel oder fentanylhaltige Schmerzpflaster).

In allen genannten Arzneimittelgruppen gibt es auch Präparate, die missbraucht werden können. Von einem Medikamentenmissbrauch wird dann gesprochen, wenn das Arzneimittel nicht mehr bestimmungsgemäß (z. B. außerhalb der Zulassung oder in nicht zugelassener Dosierung oder Dauer) eingenommen und der Konsum – unabhängig von psychischen, körperlichen und sozialen Konsequenzen – fortgesetzt wird. Als Folge davon kann es z. B. bei Schlafmitteln, Tranquilizern, stark wirkenden Schmerzmitteln oder Psychostimulanzien wie z. B. Ritalin auch zur Abhängigkeit kommen.

|14|3 Pharmakologische Expertise als notwendige Voraussetzung der Arzneimitteltherapie


Schon allein der Umfang des Angebotes an Arzneimitteln zeigt, dass es notwendig ist, viel von Pharmakologie, also der Wirkweise von Arzneimitteln bezüglich der erwünschten und unerwünschten Wirkungen zu verstehen. Einerseits, um die Therapie sicher für die Patientinnen und Patienten gestalten zu können und andererseits die Empfehlungen in der Apotheke so zu wählen, dass die verkauften Arzneimittel für die Verbraucherinnen und Verbraucher auch einen Nutzen haben. Dies ist leider nicht immer der Fall. So werden z. B. noch immer viel zu viele Antibiotika in der ambulanten Versorgung bei Infektionen der oberen Atemwege oder bei Mittelohrentzündungen verschrieben, obwohl die Infektionen virusbedingt sind – und da sind Antibiotika zumeist nicht nur überflüssig, sie verursachen auch unerwünschte Wirkungen wie Magen-Darm-Probleme, Durchfälle oder Allergien und tragen darüber hinaus zur weiteren Verschärfung des Problems der Antibiotikaresistenzen bei (Glaeske et al., 2012). In den Apotheken werden nach wie vor Schmerzmittel mit mehreren Wirkstoffen, u. a. mit Koffein, empfohlen (Beispiel Thomapyrin; Glaeske, 2015), obwohl seit vielen Jahren darüber diskutiert wird, ob nicht solche koffeinhaltigen Schmerzmittel wegen des leicht belebenden Effekts häufiger als notwendig angewendet werden und es daher zur Gewöhnungsentwicklung kommen kann. Ähnliches gilt für die häufige Anwendung von Abführmitteln oder alkoholhaltigen Stärkungsmitteln. Je mehr verordnete und selbst gekaufte Arzneimittel nebeneinander eingenommen werden, desto problematischer können die Auswirkungen sein: Der Schaden wird oftmals größer als der Nutzen, wenn die unerwünschten Wirkungen und die Wechselwirkungen nicht genügend bekannt sind und beachtet werden. Da die verordneten und eingenommenen Arzneimittelmengen mit dem Alter ansteigen, entsteht für ältere Menschen oftmals ein schwer überschaubares Problem: Statt vier bis fünf Wirkstoffen, die nebeneinander und gleichzeitig eingenommen noch als verträglich gelten, kommen oft mehr als zehn Wirkstoffe zusammen (zum Arzneimittelverbrauch bei älteren Menschen vgl. den Beitrag von Junius-Walker & Thürmann, in diesem Band). Die verschiedenen Ärztinnen und Ärzte, die aufgesucht werden (z. B. Allgemeinarzt/Internist, Augenarzt, Orthopäde, bei Frauen ein Gynäkologe, bei Männern ein Urologe), verordnen aus ihrer Sicht vielleicht die richtigen Mittel, da sich die Ärzte aber untereinander nicht immer ausreichend absprechen, kommen so viele Mittel zusammen, dass es zu spürbaren, oft auch gefährlichen Wechselwirkungen kommen kann. Werden dann noch zusätzliche Mittel in der Apotheke ohne Rezept gekauft und eingenommen, können daraus dramatische Folgen entstehen: Bei etwa 5 % der Menschen, die ins Krankenhaus eingewiesen werden – und dies sind etwa 300000 pro Jahr –, ist keine Krankheit Ursache für diese Einweisung, sondern es sind unerwünschte Wirkungen und Wechselwirkungen, die von zu vielen Arzneimitteln nebeneinander ausgehen (Stipanitz, 2013).

4 Individueller Arzneimittelverbrauch


Der Arzneimittelverbrauch steigt mit dem Alter an. Auffällig sind die Verordnungsmengen (vgl. Abb. 1), die in der gesamten Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) |15|ab dem Erwachsenenalter (20 bis 24 Jahre) von 69 Tagesdosen (sog. defined daily doses, DDD) auf bis zu 1575 DDD bei 80 bis 84-Jährigen ansteigen (Schwabe & Paffrath, 2012). Erwachsene im Alter von über 65 Jahren machen zwar nur etwa ein Viertel (22 %) aller gesetzlich Versicherten aus, sie bekommen aber 56 % des Verordnungsvolumens nach den Mengen, berechnet in einzelnen Dosierungen. Diese Mengen verursachen 44 % der gesamten Arzneimittelausgaben in der GKV. Im Durchschnitt wird jeder Versicherte über 65 Jahren mit 3,7 DDD behandelt (Coca & Schröder, 2012). Ältere Menschen erhalten im Schnitt Präparate mit günstigeren Tagesdurchschnittskosten verordnet als Versicherten in jüngeren Altersgruppen. Dies hat mit der Behandlung vieler im Alter auftretender chronischer Erkrankungen (z. B. Hypertonie, Herzinsuffizienz oder Diabetes) mit kostengünstigen Generika zu tun und erklärt den Unterschied zwischen den Verordnungs- und Umsatzanteilen. In Abbildung 1 wird diese Verteilungssituation von Mengen (DDD) und Kosten (Euro/DDD) für die Versicherten der BARMER GEK gezeigt.

Abbildung 1: Verordnete DDD pro Versicherte und Ausgaben in Euro pro DDD der BARMER GEK nach Alter und Geschlecht in 2013 (Glaeske & Schicktanz, 2014)

Vergleicht man diese Verteilung mit ähnlichen Abbildungen aus dem Jahre 2003, so zeigt sich, dass die heute verordneten Mengen der Arzneimittel bei Männern höher sind als bei Frauen. Noch vor zehn Jahren fiel diese Relation deutlich zu Lasten der Frauen aus: Sie bekamen mit 441 Tagesdosierungen im Durchschnitt eine um 50 % höhere Menge an Arzneimitteldosierungen als Männer mit 295 Tagesdosierungen. Die heute zu beobachtenden Veränderungen kommen vor allem dadurch zustande, dass – mit wenigen Ausnahmen – ab dem 01.01.2004 keine Arzneimittel mehr für Erwach|16|sene verordnet werden dürfen, die nicht rezeptpflichtig sind. Dies betraf eine ganze Reihe von Arzneimitteln, die Frauen auffällig häufig verordnet bekamen, wie z. B. Venenpräparate, angeblich durchblutungsfördernde Mittel, pflanzliche Mittel bei Zyklusstörungen oder Beschwerden in den Wechseljahren. Darüber hinaus wirkt sich auch der erwünschte Rückgang von Hormonpräparaten in der Menopause zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden auf die verordneten Mengen aus: Diese Mittel wurden in früheren Jahren für etwa 30 bis 40 % der über 45-jährigen Frauen dauerhaft verordnet – auch zur Prophylaxe einer Osteoporose. Nachdem aber bekannt wurde, dass die dauerhafte Einnahme solcher Hormonpräparate erhebliche Risiken mit sich brachte (höheres...

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