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Sozialität als Conditio Humana

Eine interdisziplinäre Untersuchung zur Sozialanthropologie in der experimentellen Ökonomik, Sozialphilosophie und Theologie

AutorRebekka A. Klein
VerlagEdition Ruprecht
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl326 Seiten
ISBN9783767571372
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis62,00 EUR
Was verstehen wir unter Sozialität? Welchen Beitrag leisten Verhaltensforschung, Philosophie und Theologie? Dieses Buch analysiert neuere Experimente zur sozialen Interaktion, philosophische Konzepte der zwischenmenschlichen Differenz und ein theologisches Verständnis der christlichen Nächstenliebe. Es zeigt auf, dass ein Rekurs auf die Sozialität des Menschen gegenüber Phänomenen sozialer Unmenschlichkeit nicht gleichgültig sein darf: Von der gewaltsamen Vernichtung bis zur Verantwortung für den anderen reicht der Spielraum des menschlichen Sozialverhaltens. Sozialität wird deshalb nicht als Fundament von Moral und politischer Ordnung, sondern als ein Phänomen in zweifacher Gestalt behandelt. How do we understand human sociality? This book provides an analysis of recent experiments on social interaction, philosophical concepts of human difference and the anthropology of Christian neighborly love. Aus dem Inhalt: - Anthropologische Beschreibung als Darstellung der Humanität des Menschen - Der soziale Konflikt zwischen Egoismus und Altruismus in der menschlichen Interaktion - Die zwischenmenschliche Differenz als Antagonismus, Anerkennung und Alterität - Die Spannung von alter und neuer Existenz in der christlichen Nächstenliebe

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Leseprobe

III. Die Differenz im zwischenmenschlichen Verhältnis (S. 182-183)

§22 Drei Konstellationen des zwischenmenschlichen Verhältnisses


Im zweiten Kapitel dieser Untersuchung wurden exemplarisch für die Erforschung der menschlichen Sozialität in den Sozialwissenschaften die Studien der experimentellen Ökonomik und Neuroökonomik in den Blick genommen. Im Anschluss an eine eingehende Analyse der Methodologie einer experimentellen Modellierung wurde gezeigt, dass dieser Ansatz zur Beschreibung sozialer Interaktionen dort an seine Grenzen kommt, wo die Dynamik der zwischenmenschlichen Interaktionsbeziehung und die in ihr wirksamen selbst- und fremdbezüglichen Intentionen der sozialen Akteure darzustellen sind. Der Blick auf die Empirie des menschlichen Sozialverhaltens wurde deshalb durch phänomenologische Überlegungen ergänzt.

Im dritten Kapitel dieser Untersuchung wird das Gespräch mit sozialphilosophischen und ethischen Ansätzen gesucht, die sich explizit der Frage zuwenden, was die Struktur sozialer Interaktionen als eine Struktur zwischenmenschlicher Beziehung und Differenz auszeichnet. Der Schwerpunkt der Aufmerksamkeit wird also von der Interaktion und ihren Konsequenzen auf den Phänomenbereich der zwischenmenschlichen Sozialität1 verlagert. Es werden dazu Theoriekonzeptionen der Sozialphilosophie diskutiert, die das Konfliktpotential menschlicher Sozialbeziehungen, das in den ökonomischen Studien auf der Ebene von Biologie und Verhalten untersucht wurde, zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen machen und es in seinen sozialen, politischen und ethischen Konsequenzen bedenken. Methodisch wird die Dynamik der sozialen Interaktion in den sozialphilosophischen Ansätzen allerdings nicht allein am Ort des Individuums rekonstruiert, wie in der Beschreibung sozialer Präferenzen durch die experimentelle Ökonomik, sondern es wird über den methodischen Individualismus hinausgehend zuerst die phänomenologische Grundstruktur der zwischenmenschlichen Beziehung in den Blick genommen. Aus der Beschreibung dieser Beziehungsstruktur heraus werden dann Modelle des menschlichen Miteinanders oder Gegeneinanders entwickelt, welche die innere Dynamik dieser Beziehungsstruktur in ihren Konsequenzen für das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen beschreiben.

Die drei in diesem Kapitel zu diskutierenden Konzeptionen gehen alle von einer Differenz oder Asymmetrie an der Wurzel der zwischenmenschlichen Begegnungaus und wollen von dorther die humane Möglichkeit einer politischen und ethischen Gestaltung dieser Begegnung ergründen. Dabei spannt sich der Bogen von der Beschreibung des zwischenmenschlichen Verhältnisses als einer antagonistischen Konfrontation bis zur Beschreibung dieses Verhältnisses als Ort der Verantwortung gegenüber einem anderen, dessen Gegenwart in der zwischenmenschlichen Begegnung transzendent und unverfügbar bleibt. Eine Zwischenstellung nehmen die Überlegungen zur Ethik und Politik der Anerkennung ein, in denen das Konfliktpotential der zwischenmenschlichen Beziehung durch das Ideal der Symmetrie und Reziprozität befriedet werden soll. In allen drei Konzeptionen lassen sich die konflikthaften Beziehungskonstellationen wiederfinden, die auch die Modellierungen der experimentellen Ökonomik zum Ausgangspunkt nahmen. Die Ökonomik nutzte sie, um soziale Konflikte zwischen altruistischen und egoistischen Akteuren abzubilden und die Ursachen und Bedingungen zu erforschen, die zu ihrer Lösung führen können. In den sozialphilosophischen Theorien werden nun anders als in der Ökonomik neue Formen eines sozialen Konflikts erörtert, die sich nicht von den Konsequenzen der menschlichen Interaktion, sondern von der Interaktionsbeziehung und der in ihr wirksamen zwischenmenschlichen Differenz her verstehen lassen. Außerdem wird die Lösung sozialer Konflikte nicht allein in der Evolution eines kooperativen, auf starke Reziprozität abzielenden Miteinanders der Menschen gesehen. Es ist in sozialphilosophischer Perspektive vielmehr fraglich, ob eine Befriedung sozialer Konflikte, die auf eine symmetrische Gleichschaltung der Interaktionspartner und ihrer Transaktionen abzielt, nicht das Wesen dieser Konflikte selbst missversteht.

Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis8
Vorwort12
Einleitung14
§1 Fragestellung und Vorgehen dieser Untersuchung14
§2 Phänomenologische Kritik und Multiperspektivität der Beschreibung14
§3 Menschsein und Sozialität – Das Thema der Untersuchung17
§4 Sozialität als conditio humana?26
§5 Der interdisziplinäre Beitrag der theologischen Anthropologie30
I. Anthropologie als Darstellung der Humanität des Menschen36
§6 Interdisziplinäre Anthropologie36
§7 Anthropologie und Sozialität in den einzelnen Disziplinen38
§8 Anthropologische Leitdifferenzen57
§9 Conditio humana: Konkrete Existenzbedingung des Menschen73
§10 Plessner: Humanität und Leiblichkeit82
§11 Gegenständlichkeit und phänomenaler Überschuss93
II. Der Konflikt zwischen Egoismus und Altruismus im Verhalten96
§12 Möglichkeiten und Grenzen einer empirischen Anthropologie96
§13 Der Ansatz ökonomischer Sozialforschung99
§14 Die Methodologie der experimentellen Ökonomik111
§15 Die Modellierung sozialer Präferenzen130
§16 Normen für kooperatives Verhalten136
§17 Vom homo reciprocans zum homo altruisticus148
§18 Die Nutzenerwartung altruistischer Akteure157
§19 Affektive Empathie: Die Bedeutung sozialer Emotionen166
§20 Der phänomenale Überschuss der sozialen Interaktion169
§21 Fazit171
III. Die Differenz im zwischenmenschlichen Verhältnis183
§22 Drei Konstellationen des zwischenmenschlichen Verhältnisses183
§23 Die Menschennatur als Legitimation politischer Ordnung184
§24 Antagonismus: Die unauflösbare Differenz194
§25 Anerkennung: Die befriedete Differenz201
§26 Alterität: Differenz als Ort der Verantwortung221
§27 Fazit234
IV. Humanität und Inhumanität in der Liebe zum Nächsten238
§28 Theologischer Vorbehalt gegen eine Immanenz des Sozialen238
§29 Biblische und hermeneutische Rede vom Nächsten244
§30 Sozialkritik statt Moral254
§31 Meisinger: Anthropologisches Differenzbewusstsein258
§32 Kierkegaard: Humanität als Überschuss der Liebe Gottes261
§33 Über Kierkegaard hinaus: Nächstenliebe und Inhumanität273
§34 Humanität und Inhumanität im Spiegel der Barmherzigkeit280
§35 Fazit288
Schlussreflexion292
§36 Multiperspektivität statt Transdisziplinarität292
§37 Das Ergebnis der Untersuchung294
Literaturverzeichnis296
Namensregister311
Sachregister314

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