„Ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer Schritt für uns.“
Die Idee auszuwandern beschäftigte uns schon seit Langem. Im Jahr 2000 hatten wir Deutschland schon einmal verlassen, um in der Dominikanischen Republik ein neues Leben zu starten. Nach knapp zwei Jahren in der Karibik kehrten wir allerdings nach Deutschland zurück. Ein schrumpfender Geldbeutel, fehlende bezahlbare Schulbildung für die Kinder, Heimweh und der so genannte Inselkoller trieben uns in die alte Heimat, nach „Good old Germany“, zurück.
„Wir“, das sind übrigens Angelika, mit Spitznamen „Helmut“, die als Mutter an der Spitze unserer Familie steht, Paul unser Sohn (Jahrgang 1991), unsere Tochter Marie, die zwei Jahre jünger ist, und ich, Kay, der Vater des Ganzen.
Es folgten acht Jahre Deutschland mit zwei Monaten Sonne pro Jahr, Freistellungsbescheinigung vom Steuerabzug für Bauleistungen, Schornsteinfegerzwang, TÜV und ASU, Leinenzwang und Hundesteuer, ständige Strom- und Benzinpreiserhöhungen, ewiger Vizemeister, regengraues Wetter, deutsche Gerechtigkeit, GEZ und PISA-Studie. Das alles und natürlich die Suche nach einem neuen Abenteuer machten uns die Entscheidung leicht. Wir kehrten Deutschland abermals den Rücken und sagten: ,,Hola Paraguay“.
Wir hatten das Land bereits drei Mal bereist und uns vor Ort einen eigenen Eindruck verschafft. Unsere Entscheidung stand fest: ,,Dies sollte unsere zukünftige Heimat sein“
Der Abreisetag stand lange Zeit fest im Kalender. Unser Flugzeug sollte am 3. September 2008 von Frankfurt aus in Richtung Salvador de Bahia in Brasilien starten. Am 2.September wollten wir ganz gemütlich mit einem Mietwagen von Berlin nach Frankfurt fahren und dort eine Nacht schlafen, um am nächsten Morgen unsere große Reise anzutreten – ausgeschlafen und entspannt. Die Abschiedsfeier mit unseren Freunden legten wir vorsorglich vier Tage vor unseren Abreisetermin, um genügend Zeit zu haben, die Koffer zu packen und das Haus leer zu räumen.
Aber es kam wie immer anders als geplant und so waren wir einen Tag vor der Abreise immer noch beim Abschiednehmen von unseren Freunden, die sich bis zur letzten Minute nicht von uns trennen konnten. Deshalb war am Morgen der geplanten Abreise von Berlin nach Frankfurt noch kein Koffer gepackt und es waren noch nicht alle Zimmer geräumt. Die Spedition hatte sich für 14:00 angemeldet, um unsere Umzugskartons und unseren Kühlschrank für die Verschiffung abzuholen – das einzige Inventar, das mit auf die große Reise gehen sollte. Bis 14:00 verblieben nur noch ein paar Stunden und immer noch fehlten diverse Kartons und es waren längst nicht alle Sachen verstaut. Die Kinder unserer Hauskäufer saßen bereits an unserem Küchentisch und machten ihre Hausaufgaben – um es kurz zu sagen: Es herrschte Chaos!
Zur Abfahrt bereit
Außerdem musste ich noch zur brasilianischen Botschaft und die Gesundheitspapiere unseres Hundes beglaubigen lassen. Und dann war da noch der Mietwagen, der bis 12:00 mittags abgeholt werden musste.
Stress pur, aber irgendwie haben wir doch alles auf die Reihe gebracht und der Mietwagen stand wie geplant um 15:00 bepackt und abfahrbereit vor der Tür. Nun hieß es, Abschied nehmen von dem, was uns ans Herz gewachsen war. Ein paar Tränen kullerten auch, als wir uns endgültig von unseren Freunden verabschiedeten. Dann konnten wir endlich durchstarten.
Ein kleines Problem gab es trotzdem noch aus der Welt zu schaffen. Die brasilianische Botschaft konnte mir die beglaubigten Gesundheitspapiere für unseren kleinen Hund am Vormittag nicht gleich mitgeben, weil angeblich der zuständige Bearbeiter nicht im Hause war. Deshalb mussten wir noch einmal einen Abstecher ins Zentrum von Berlin machen, wo wir die Papiere ausgehändigt bekamen.
Auf dem Weg zur brasilianischen Botschaft stellten wir fest, dass das Auto ein bisschen zu klein für unsere vierköpfige Familie mit Hund war und wir einen Koffer – von insgesamt acht – einsparen und loswerden mussten, um ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen in Frankfurt anzukommen. Dies gelang durch neue Stapeltechniken, Umpacken und Anwendung roher Gewalt.
Meine liebe Frau hatte die fantastische Idee, den Koffer einfach gleich dort vor der brasilianischen Botschaft unter Beobachtung mehrerer Überwachungskameras abzustellen. Natürlich setzten wir das nicht in die Tat um, denn wir wollten schließlich noch an diesem Tag in Frankfurt ankommen. Noch dazu hätte man mich und unseren Sohn Paul auf Grund einer Wette, die wir am Abschiedsabend einzulösen hatten und die uns unsere komplette Kopfbehaarung gekostet hatte, leicht einer rechtsextremistischen Gruppierung zuordnen können.
Es war gar nicht so einfach, einen geeigneten Platz für unseren Koffer mitten in Berlin zu finden. Letztendlich stellten wir ihn in einem Wohngebiet geöffnet an ein paar Mülltonnen ab. Ich hoffe nicht, dass wir uns damit strafbar gemacht haben. Aber wie das in Deutschland oft ist, wahrscheinlich steht das illegale Entsorgen von Koffern unter besonders hoher Strafe.
Nun konnte es endlich in Richtung Frankfurt am Main gehen, wo uns ein alter Freund aus der Lehrzeit meiner Frau erwartete. Nach fünf Stunden Fahrtzeit waren wir angekommen und wurden mit einem leckeren Abendessen und einem frischem Bier empfangen. Der vorläufig letzte Tag in Deutschland war geschafft und unserer Reise nach Paraguay stand nichts mehr im Weg.
Es war unser vorläufig letzter Morgen in Deutschland und wir verabschiedeten uns von unserem Freund in Frankfurt, der uns unser letztes Nachtquartier zur Verfügung gestellt hatte. Wir machten uns auf den Weg und unser Flugzeug startete planmäßig in Richtung Brasilien.
Nach zehn Stunden Flugzeit und pünktlicher Landung kamen wir gesund und munter an. Unser Hund Asta hatte den Flug ebenfalls ohne Schaden überstanden und konnte einreisen. Vor uns lag nun eine mehrtägige Autofahrt von Salvador de Bahia über Sao Paulo nach Paraguay. Wir wählten den Landweg, um unserem Hund das Umsteigen auf einem südamerikanischen Flughafen zu ersparen. Außerdem planten wir mehrere Stopps an der Atlantikküste Brasiliens, um ein paar schöne Urlaubstage zu verbringen.
Von Deutschland aus hatten wir bereits einen VW-Bus gemietet – T4 oder gleichwertig, so hieß es bei der Buchung. Als wir unseren Mietwagen abholten, wussten wir, wir sind in Lateinamerika angekommen. Unter gleichwertig verstand die ansässige Autovermietung, dass alle Autos mit einem VW-Zeichen gleichwertig mit einem modernen T4-Bus seien. Vor uns stand (nagelneu, mit 900 km auf dem Tacho) ein T1-Bus (VW Bulli – Flower Power) mit allen Einsparungen, die man machen konnte. So hatte unser Auto weder Servolenkung, Bremskraftverstärker noch Airbag. Ein Traum wäre eine Klimaanlage oder vielleicht sogar eine Heizung gewesen. Jetzt werden viele fragen: „Wofür braucht man in Brasilien eine Heizung?“ Darauf werde ich etwas später zurückkommen.
Flower Power Feeling – unser Mietwagen
Detlef, so nannten wir unser neues Auto liebevoll, sollte uns nun 3.500 Kilometer durch Brasilien nach Paraguay bringen. Unser erstes Hotel lag circa 50 Kilometer vom Flughafen entfernt. Nach anfänglichen Fahrschwierigkeiten im brasilianischen Straßenverkehr und etwas Eingewöhnungszeit an das neue Auto hatten wir es nach 2 Stunden Fahrzeit erreicht. Ein bisschen k.o., aber zufrieden, den Flug hinter uns zu haben, ließen wir den Tag bei einer erfrischenden Cola und ein paar Bier ausklingen und freuten uns auf die nächsten Tage.
Für unsere Fahrt durch Brasilien bis zur paraguayischen Grenze hatten wir circa 10 Tage eingeplant. Das hieß, es lagen täglich ungefähr 350 Kilometer brasilianischer Straßen vor uns. Wer einmal auf den Bundesstraßen von Brasilien unterwegs war, weiß, dass das ein gefährliches und anstrengendes Abenteuer sein kann.
Autos von der Größe unseres Busses stellten keine Gefahr da, aber mir kam es so vor, als ob auf den brasilianischen Bundesstraßen nur lebensmüde LKW-Fahrer unterwegs waren, die enorm hohe Unfallversicherungen hatten und diese schnellstmöglich kassieren wollten. Mir machte das Autofahren jedenfalls keinen Spaß mehr und so entschied der Familienrat, die geplanten Urlaubstage zu kürzen und auf dem schnellsten Wege nach Paraguay zu fahren.
Nachdem wir am 8. September gegen 12:00 Rio de Janeiro und danach gegen 16:00 Sao Paulo passierten, führte uns der Weg ins Landesinnere Brasiliens. Unser Ziel war es, an diesem Tage noch die Hochebene von Curitiba hinter uns zu lassen.
Es ging nur noch bergauf. Unser Tank war halb voll und vor uns lagen 50 Kilometer Serpentinenstraße Richtung Himmel. Nach ungefähr 20 Kilometer fuhren wir durch eine geschlossene Wolkendecke und mit der klaren Sicht war es vorbei.
Nun kommt der Punkt, an dem ich auf die fehlende Heizung zurückkomme: Stellt euch vor, ihr fahrt mit dem Auto im November bei 5 °C und Nebel durch den Harz und sitzt leicht bekleidet mit einem T-Shirt am Steuer. So, und nun stellt euch vor, es gibt keine Heizung und ihr seht mit Erschrecken, dass die Tankanzeige auf Rot steht. Hinter mir saßen meine Kinder Paul und Marie, die froren und Hunger hatten, und neben mir saß meine Frau und machte kluge Sprüche, wie man sich aufwärmt.
Keiner meiner Familie wusste bis dahin, dass der Tank gleich leer sein würde. Als ich ihnen die Neuigkeit unterbreitete, wurde es ruhig in unserem Spaßmobil. Als wir endlich eine Tankstelle...