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Die Dämonisierung der Wasserfrau bei Thüring von Ringoltingen, Paracelsus, Friedrich de la Motte Fouqué und Hans Christian Andersen

AutorJacqueline Peter
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl95 Seiten
ISBN9783668350694
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2016 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,3, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Sprache: Deutsch, Abstract: In dieser Arbeit werden vorrangig die Primärtexte 'Melusine' von Thüring von Ringoltingen, 'Liber de nymphis sylphis pygmaeus et salamandres et de ceteris spiritibus' von Paracelsus, 'Undine' von Friedrich de la Motte Fouqué und 'Die kleine Meerjungfrau' von Hans Christian Andersen auf die Dämonisierung beziehungsweise Entdämonisierung der Wasserfrau hin untersucht. Die einzelnen Erzählungen veranschaulichen, welche zeitliche Entwicklung die Figur durchmacht und wie sie 'fortschreitend von der Sage zum Märchen' entdämonisiert und mit 'weiblichen Zügen' behaftet wird. Doch trotz dieser zunehmenden Entdämonisierung wird die Wasserfrau für den Mann immer gefährlicher, die Bestrafung des Mannes drastischer. Es gilt zu klären, von welchen Faktoren dies abhängt. Die Wasserfrau wird grob in zwei verschiedene Typen unterteilt: die Melusinen- und die Undinenfigur. Sie unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Stofftradition, den geschichtlichen Hintergründen und der Art der Dämonisierung. Als mythische Stammmutter und Ahnfrau der Lusignans nimmt Melusine eine Sonderstellung ein. Doch auch der Ursprung des Wasserfrauenmythos, die Sirenen, findet hier Beachtung. Ebenso relevant sind die klerikalen Erzählungen des 12. Jahrhunderts als Vorläufer des Melusinenstoffs und die Staufenberg-Sage aus dem 15. Jahrhundert. Bei der Analyse der Texte werden verschiedene Fragestellungen und Sachverhalte behandelt. In welchem Maße besitzen die Figuren eine Doppelnatur und welche Bedeutung hat der Schlangen- bzw. Fischschwanz hinsichtlich der Dämonisierung? Inwieweit wird das Bedrohliche der Wasserfrau christlich absorbiert und welche Rolle spielt dabei genau der Erlösungsgedanke Paracelsus'? Eine zentrale Rolle spielt außerdem das Narrativ der gestörten Mahrtenehe. Dabei werden die unterschiedlichen Variationen in Verbindung mit dem Tabubegriff, der Bestrafung und der Rollen des menschlichen und des andersweltlichen Parts erläutert.

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Leseprobe

2. Begriffsdefinitionen


 

2.1. Sirenen - Der mythologische Ursprung der Wasserfrau


 

In der griechischen Mythologie genossen Qellnymphen - auch Najaden genannt - großes Ansehen. Sie galten als Wächterinnen von Bächen, Quellen und Brunnen. Oftmals waren Najaden Gegenstand regionaler Kulte, in denen sie als Fruchtbarkeitsgöttinen verehrt und dem bewachten Wasser Heilkräfte zugewiesen wurden.[4] Der Ursprung der Ambivalenz des Wasserfrau-Mythos lässt sich in den Sirenen der Antike wiederfinden.[5] Sie sind Mischwesen, die sowohl aus menschlichen als auch aus vogelähnlichen Körperteilen bestehen. Ihnen wird eine hohe Affinität zur Musik zugeordnet, die durch einen verlockendenen Gesang zum Ausdruck gebracht wird. Ihre Anziehungskraft liegt nicht nur in ihrer Schönheit, sondern auch in ihrer wundervollen Stimme begründet[6], mit der sie die Seefahrer an die Klippen locken und anschließend töten.

 

In die Literaturgeschichte sind die Sirenen als Verführerinnen eingegangen. In der "Odysee" von Homer aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. werden sie vor allem als göttliche, aber auch verlockende und verderbenbringende Wesen dargestellt, die durchaus mächtiger als die Menschen sind.[7]Homer betont nicht nur die außergewöhnliche Stimme, sondern auch ihre Gabe, das Wetter zu beeinflussen, und ihr übernatürliches Wissen.[8]

 

Nach antiker Ansicht gehören Sirenen durchaus zu den "Kindern des Meeres", also zum Wasser. In der Spätantike kommt es zu einer Mischung von Sirenen und Wasserfrauen und in der christlichen Ikonographie wird das Mischwesen aus Frau und Vogel durch eines aus Frau und Fisch ausgetauscht.[9] Häufig ist es ein einfacher Fischschwanz, teilweise sogar ein zweigeteilter.[10]

 

Im Mittelalter werden die Sirenen einem Wandel unterzogen. Nach dem christlichen Dualismus von Gut und Böse gelten sie nicht länger als göttlich. Die christlichen Schriftsteller des 11. und 12. Jahrhunderts machen aus ihnen den Inbegriff der weltlichen Verlockung und Verführung. Nichts Göttliches haftet ihnen mehr an; sie werden in das Reich des Bösen und des Teufels eingeordnet. Das Christentum deklariert die Sirenen zu Dämonen.[11] Paracelsus grenzt sie in den Kreis der "monstra" ein und bezeichnet sie als unweiblich, weil sie einen Fischschwanz besitzen und aufgrunddessen nicht empfangen und gebären können. Sein Verständnis von Weiblichkeit ist fest mit der Mutterschaft veranktert.[12]

 

2.2. Die Stammutter Melusine


 

Melusine (frz. Mélusine) ist ein literarischer Stoffkomplex um die „merfaye“ Melusine. Er bildet die genealogische Ursprungssage des französischen Hauses Lusignan.[13] Der Name setzt sich aus den Wörtern "mère" und "lusine" zusammen und bedeutet demnach "Mutter der Lusignans".[14]Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit galt die Figur der Melusine als mächtige Stammutter eines ganzen Adelsgeschlechts. Von Sonntag bis Freitag besitzt sie einen normalen Menschlichen Körper, jeden Samstag jedoch hat sie vom Nabel abwärts einen Schlangen- bzw. Drachenleib. Daher standen immer wieder Spekulationen im Raum, dass sie eine Dämonin sei. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wurde Melusine nicht als Meerjungfrau oder Nixe betrachtet oder mit dem Mythos der antiken Sirene in Verbindung gebracht. Das Bild der betörenden fischgeschwänzten Nixe entwickelte sich erst im späten 18. Jahrhundert. Die Rezeption der französischen Feenmärchen und das wachsende Interesse der Romantiker für das "Volksbuch" lässt den literarischen Stoffkomplex der Melusine mit der Bildtradition der Meerjungfrau und dem antiken Sirenenmythos vermischen.[15] Wenn Melusine im Mittelalter sowohl das Element des Wassers als auch der Luft zugeordnet wird, beschränkt man sich somit in der Neuzeit allein auf das Wasser.

 

Die erste literarische Darstellung des Stoffes ist der Prosaroman des Jean d´Arras, welcher 1393 verfasst und dem Herzog Jean de Berry gewidmet wurde. 1401 entstand der Versroman Coudrettes. Vorstufen dieser beiden Werke waren Feensagen, die seit dem 12. Jahrhundert von Klerikern überliefert wurden. Dazu gehört unter anderem Gervasius von Tilbury und Walter Map.[16] Der Eintritt dieser Legende in die Literatur steht in Verbindung mit der Rückeroberung des Poitou, eine Landschaft in Westfrankreich und die Heimat der Lusignan, aus englischer Hand durch den Herzog von Berry. Insbesondere aber besteht ein Zusammenhang mit dem LusignanKönig Leo VI von Armenien, der, nach der Vertreibung durch die Sarazenen, seine Tage am französischen Hof verbrachte.[17]

 

Der Melusinenstoff wurde auch in anderen romanischen Ländern und England bekannt und erfreute sich besonders in Deutschland großer Beliebtheit. Die älteste deutsche Fassung ist der Prosaroman des Berner Ratsherren Thüring von Ringoltingen, der 1456 abgeschlossen und 1474 erstmals gedruckt wurde. Als Vorlage diente Ringoltingen der Versroman Couldrettes, welcher in Frankreich selbst nur wenig Beachtung fand.[18]

 

Kernstück der Fabel bildet die Verbindung eines sterblichen Mannes mit der Fee Melusine und die damit verbundene Familienhistorie. Die Vermählung kann nur unter einer Bedingung erfolgen: Da sie sich jeden Samstag in eine Schlange verwandelt, darf er an diesem Wochentag niemals ihre Doppelgestalt erblicken. Im Gegenzug beschenkt sie ihren Gemahl mit Erfolg, Ansehen und Reichtum. Sie baut zahlreiche Burgen und bringt zehn Söhne zur Welt. Der Mann wird durch eine außenstehende Person verleitet, das ihm auferlegte Tabu zu brechen. Durch diesen Bruch büßt er seinen Reichtum und seine Gemahlin ein. Die Nachkommen, welche er mit der Fee gezeugt hat, bleiben bei ihm. Die enttarnte Fee verschwindet und das Haus Lusignan besitzt seine übernatürliche Ahnfrau[19], die seitdem als Schlangenweib auf seinem Wappen dargestellt wird.[20]

 

2.3. Loreley


 

Die Loreley ist eine um 1800 entstandene Schöpfung vom Dichter Clemens Brentano, die er in seinem Gedicht "Zu Bacharach am Rheine" erwähnt. Er knüpft an eine rheinische Sage über den großen Felsen bei St. Goarshausen an, der für sein Echo bekannt ist. Schon im Mittelalter wurde er "Lurelei" genannt, wobei "lei"das mittelhochdeutsche Wort für "Fels" ist und die Vorsilbe "lur" der Name einer elbischen Kreatur war. Bis ins 18. Jahrhundert hinein galt das Echo als dämonische Stimme und wurde mit Wasserwesen assoziiert. Somit bedeutet Lurelei "lauernder Fels". [21] Brentanos Ballade erzählt nicht von einer Meerjungfrau, sondern von einer Zauberin, die mit dem Element Wasser verbunden ist. Sie ist sowohl schön als auch anmutig und schickt alle Männer, die sie sehen in den Tod. Sie wird als Verführerin und Sünderin dargestellt und wird zur Strafe von der christlichen Obrigkeit ins Kloster geschickt.[22]

 

Auch Heinrich Heine verwendet in seinem Gedicht "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten" die Lokalsage und übernimmt dabei den Namen Loreley. Nun ist sie jedoch keine Zauberin mehr, sondern eine sexuell unschuldige Jungfrau.[23] Auch sie wird als äußerst schön beschrieben und thront wie eine Prinzessin auf dem Felsen. Indem sie ihr blitzendes goldenes Haar kämmt und eine "gewaltige Melodei" singt, lenkt sie die Seefahrer so ab, dass diese mit ihren Schiffen an den Felsenriffen in den Wellen versinken.[24] Die Paralellen zum antiken Sirenenmythos sind klar zu erkennen: Auch die Loreley besitzt ein beeindruckendes Gesangstalent, mit dem sie die Männer, wenn auch nur indirekt, in den Tod schickt.

 

2.4. Meerjungfrauen und Nixen


 

Ältere Quellen belegen deutliche Unterschiede zwischen den Begriffen "Meerjungfrau" und "Nixe". Heutzutage werden sie jeodch als Synonyme verwendet; die Grenzen verschwimmen. Genaue Definitionen sind deshalb nicht leicht herauszuarbeiten, weswegen sie im Folgenden zusammen erläutert werden.

 

Nixen sind Wassergeister. In älteren Qellen werden sie mit einem menschlichen Körper beschrieben, später jedoch immer wieder als Mischwesen wie die Meerjungfrau - halb Mensch und halb Fisch. Ihr Unterkörper besteht meist aus einem Fischschwanz, der Oscar Wilde nach mit Perlen und Edelsteinen und laut Hans Christian Andersen mit Austern geschmückt ist. Sowohl die Nixe als auch die Meerjungfrau repräsentieren die Einheit von Wasser und Mensch.

 

Sie besitzen ein wunderschönes Gesicht, langes goldenes Haar und einen reizenden Busen. Ihr Gesang ist, ähnlich wie bei den Sirenen und der Loreley, verlockend und gefährlich zugleich.[25]Im Gegensatz zur Sirene, Loreley und Melusine können sie unter Wasser leben, also einen anderen Lebensraum als den der Menschen bewohnen.

 

Nicht nur ihr Körper, auch das Wesen der Nixe kann durch ihre Doppelnatur geprägt sein. Zum einen ist sie die "schöne, schenkende Verführerin", zum anderen die "gefährliche, das Leben bedrohende elementare Kraft".[26] Anders verhält es sich mit der Meerjungfrau, denn ihr wird eine Erlösungsbedürftigkeit zugeschrieben und sie stellt...

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