Der International Accounting Standard 37 wurde im Juli 1998 verabschiedet und im September 1998 veröffentlicht und folgte somit dem IAS 10 „Contingencies and Events Occuring After the Balance Sheet Date“, den IAS Anwender bisher hinsichtlich der Passivierung von Rückstellungen hauptsächlich anzuwenden hatten.[239] Endgültige Anwendung findet der IAS 37 auf JA für Geschäftsjahre, die ab dem 1. Juli 1999 oder später beginnen.[240]
In den IFRS ist der im Handelsrecht als Rückstellungen bezeichnete Bilanzposten unter den Schulden (liabilities) einzuordnen. Die wesentlichen Regelungen für den Ansatz, die Bewertung und die Berichtserstattung von Rückstellungen werden im IAS 37 „provisions, contingent liabilities and contingent assets“, zu übersetzen mit „Rückstellungen, Eventualschulden und Eventualforderungen“, umfassend für alle[241] Unternehmen geregelt.[242] Des Weiteren soll der Standard gewährleisten, dass hinreichend Informationen im Anhang des Abschlusses dargestellt werden, um den Adressaten ausreichend Auskünfte über Art, Anfall und Höhe der Schulden zu verschaffen.[243]
Einschneidende Neuerungen des IAS 37 werden sich im Rahmen des Konvergenzprojektes zwischen FSAB und IASB hinsichtlich der Terminologie sowie der Ansatz- und Bewertungsvorschriften ergeben. Der endgültige Standard soll im dritten Quartal 2010 vom IASB veröffentlicht werden, dabei ist eine verbindliche Anwendung des Standards nicht vor dem 1.1.2012 geplant. (Zu einem Überblick über die Regelungsinhalte der beiden vorliegenden Entwürfe „ED - IAS 37“ und seinem Nachfolger dem „ED/2010/1“ siehe Kapitel 11)
Aufgrund der Themenbezogenheit der internationalen Rechnungslegung und dem teilweise hierin begründeten unsystematischen Aufbaus der IFRS sind wichtige Teilbereiche der Schulden bzw. Rückstellungen in anderen Standards geregelt.
Der IAS 37.1 schränkt den Geltungsbereich des IAS 37 ein. Somit sind „alle Rückstellungen, die aus noch zu erfüllenden Verträgen resultieren [außer der Vertrag ist belastend], sowie diejenigen Rückstellungsarten, die durch einen anderen Standard geregelt werden“[244], von den Regelungen des IAS 37 ausgenommen.[245]
Ein belastender Vertrag ist ein Vertrag, bei dem die unvermeidbaren Kosten[246] zur Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen höher sind als der erwartete wirtschaftliche Nutzen (Verpflichtungsüberschuss).[247] Im HGB werden diese negativen Differenzen als drohende Verluste aus schwebenden Geschäften bezeichnet.[248]
Des Weiteren gilt der Standard nach IAS 37.2 nicht für Finanzinstrumente, einschließlich Finanzgarantien, denn diese werden im IAS 39 „Finanzinstrumente“ geregelt.[249]
Für folgende Rückstellungsarten nach IAS 37.5 existieren eigene Standards, die den Bestimmungen des IAS 37 vorgehen.[250]
- IAS 11 (langfristige Fertigungsaufträge)
- IAS 12 (Ertragssteuern)
- IAS 17 (Leasingverhältnisse)
Eine Ausnahme hiervon ist die Behandlung von belastenden Operating-Leasingverhältnissen, diese wiederum durch den IAS 37 abgedeckt werden.[251]
- IAS 19 (Leistungen an Arbeitnehmer, z.B. Versorgungszusagen)
- IFRS 4 (Versicherungsverträge)
Der IAS 37 ist jedoch für alle anderen Rückstellungen, Eventualschulden und Eventualforderungen eines Versicherers anzuwenden, die sich nicht aus seinen vertraglichen Verpflichtungen und Rechten aus Versicherungsverträgen im Anwendungsbereich von IFRS 4 ergeben.[252]
In den Geltungsbereich des IAS 37 fallen somit die Bilanzierung von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten und aufgrund ihrer Bedeutung für die wirtschaftliche Lage eines Unternehmens gesondert, Rückstellungen für belastende Verträge, Restrukturierungsrückstellungen sowie Entfernungsverpflichtungen.
Das englische Wort für Rückstellung wird mit „provision“ übersetzt und stammt aus der Wortgruppe „to make provision“ und bedeutet umgangssprachlich „Vorkehrungen treffen“. Im IAS 37 ist eine Rückstellung als eine Schuld zu verstehen, die bezüglich des Zeitpunktes ihrer Fälligkeit oder ihrer Höhe nach ungewiss ist.[253] Die Unsicherheit bezüglich der Höhe bezieht die Ungewissheit in Hinblick auf das Bestehen einer Verpflichtung mit ein.[254]
Folgerichtig haben Rückstellungen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu den Schulden dieselben Ansatzkriterien zu erfüllen, d.h. „Rückstellungen [sind] ungewisse, [rechtliche oder faktische], gegenwärtige Verpflichtungen, die, aus vergangenen Ereignissen[255] resultierend, künftig einen Abfluss wirtschaftlicher Ressourcen erwarten lassen.“[256]
Definitionsgemäß ist der Begriff der Rückstellung dementsprechend von Posten, wie z.B. Abschreibungen, Wertminderungen von VG sowie von Wertberichtigungen von zweifelhaften Forderungen abzugrenzen. Diese Posten dienen zur Berichtigung des Buchwertes von VG und werden im IAS 37 nicht behandelt.[257] Besagte Posten sind vielmehr als Verminderung eines Aktivpostens direkt zu erfassen und nicht über einen Korrekturposten auf der Passivseite.
Der Vollständigkeit halber ist es notwendig Rückstellungen weiter von sonstigen Schulden, abgegrenzten Schulden sowie von Eventualschulden und Eventualforderungen abzugrenzen.
Eine Abgrenzung von Rückstellungen zu sonstigen Schulden wie beispielsweise Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung, ist dadurch möglich, dass sie Unsicherheiten bezüglich der Höhe oder des Zeitpunktes der erforderlichen Ausgaben aufweisen.[258] Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung sind Schulden zur Bezahlung von schon erhaltenen oder gelieferten Gütern oder Dienstleistungen, die vom Lieferanten in Rechnung gestellt oder formal vereinbart wurden.[259] Sie werden in der IFRS Bilanz als „trade and other payables“ bezeichnet und werden hinsichtlich der bilanziellen Ansatzpflicht von Verbindlichkeiten in der Unsicherheitshierarchie des IAS 37 als sicher eingestuft.
Des Weiteren grenzt IAS 37.11 Rückstellungen von sogenannten „accruals“ ab, die eine weitere Untergruppe der Schulden darstellen. Sie werden als abgegrenzte Schulden bezeichnet und somit nicht zu den Rückstellungen gerechnet. Hierzu zählen Schulden für erhaltene Güter und bezogene Leistungen, einschließlich Arbeitsleistungen, diese weder gezahlt noch vom Lieferanten in Rechnung gestellt wurden und über deren Höhe keine abschließende Vereinbarung vorliegt. Sie sind nach IAS 37 auch dann den Schulden zu zurechnen, wenn ihre Fälligkeit und/oder Höhe nur geschätzt werden kann.[260] Als spezielles Beispiel nennt der IAS 37.11b Urlaubsrückstände von Mitarbeitern, diese jedoch durch IAS 19 geregelt werden.
Der IAS 37.11 (b) beschreibt den Unterschied zu Rückstellungen durch eine wesentlich höhere Sicherheit hinsichtlich ihrer Existenz (Verbindlichkeit steht dem Grunde nach fest), so dass lediglich eine Restunsicherheit bezüglich der Fälligkeit und/oder der Höhe (aufgrund von Schätzungen) der Verpflichtung besteht.[261] Folglich sind diese Art von Schulden durch einen „höheren Bestimmtheitsgrad“ sowie eine „zuverlässigere Bestimmbarkeit“ gekennzeichnet.
Ein weiterer Abgrenzungspunkt zu den Rückstellungen ist, dass sie entweder als Teil der Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung (trade payables) oder als sonstige Verbindlichkeiten (other payables) und nicht, wie die Rückstellungen, gesondert ausgewiesen werden.[262]
Der Begriff Eventualschuld gemäß IAS 37.10 i.V.m. IAS 37.12 umfasst sowohl die wörtlich zu übersetzenden bedingte Schulden als auch andere mögliche Verpflichtungen, die nicht als Rückstellung anzusetzen sind. Der Posten „contingent liabilities“ ist folglich ein Sammelposten und erfasst Schulden:
a) bei denen das Entstehen der möglichen Verpflichtung, die aus vergangenen Ereignissen resultiert, vom zukünftigen Eintreten oder Nichteintreten unsicherer zukünftiger Ereignisse abhängt, die nicht vollständig unter die Kontrolle des Bilanzierenden fallen. Dies sind die eigentlichen contingencies (Erfolgsunsicherheiten);
b) die zwar eine gegenwärtige Verpflichtung, die auf einem Ereignis in der Vergangenheit...