Konsum ist ein fester Bestandteil der gesellschaftlichen Realität (vgl. Schrage 2009: 7) und findet steigende Beachtung in der Öffentlichkeit und Forschung (vgl. Hellmann 2013: 7). Er besitzt grundlegende ökonomische Bedeutung (vgl. Rosa 2011: 115) und erfüllt mannigfaltige Funktionen auf gesellschaftlicher und individueller Ebene (vgl. Bögenhold/Fachinger 2007: 22) wird dabei aber auch kritisch taxiert. Heute werden vor allem soziale und ökologische Aspekte problematisiert (vgl. Heidbrink/Schmidt/Ahaus 2011: 10), wie z.B. ausbeuterische Arbeitsverhältnisse in der Textil- oder Elektronikindustrie oder Plastikabfall als Folgeproblem von Konsum. Vor dem Hintergrund dieser Probleme stellt sich die Frage, wer die Verantwortung dafür trägt. In diesem Kontext rückt auch die Verantwortung der privaten Konsument*innen[1] zunehmend in den Fokus (vgl. Ahaus/Heidbrink/Schmidt 2009: 3).
Die pädagogische Relevanz der Thematik zeigt sich spätestens in der Konfrontation von Kindern und Jugendlichen mit dem Thema Konsumverantwortung im Zuge der politischen Bildung in pädagogischen Institutionen. Die Konsumverantwortung hat also bereits Einzug in die pädagogisch-institutionelle Praxis gehalten, wird in der Theorie jedoch kaum thematisiert. In dieser Arbeit wird der Versuch unternommen, die Konsumverantwortung aus einer erziehungswissenschaftlichen Perspektive zu verorten.
Nach Fend (1969) ist die Sozialisationsforschung für die Erziehungswissenschaft besonders relevant, weil aus dieser Perspektive die Folgen erzieherischen Verhaltens untersucht und eingeordnet werden können (vgl. S. 11).
Fend unterscheidet zwischen „Sozialwerdung“ im Sinne der ungerichteten Sozialisation und der „Sozialmachung“ im Sinne von gezielter pädagogischer Beeinflussung.
Im Kontext dieser Arbeit wird die Konsumverantwortung zwischen der „Sozialwerdung“ im Sinne der Konsumsozialisation und der „Sozialmachung“ im Sinne der politischen Bildung betrachtet. Die Hauptfragestellung dieser Arbeit lautet folglich: Inwiefern steht die Konsumverantwortung aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive im Spannungsverhältnis von Konsumsozialisation und politischer Bildung?
Um dieser Fragestellung näher zu kommen und die Aspekte dieser Arbeit angemessen darstellen zu können, ist eine interdisziplinäre Herangehensweise[2] erforderlich.
Zunächst wird eine definitorische Eingrenzung des Begriffs „Konsum“ vorgenommen und die „Konsumgesellschaft“ skizziert.
Der erste Teil dieser Arbeit stellt eine Annäherung an die Konsumsozialisation dar. Dafür wird kurz Sozialisation im Allgemeinen und die Konsumsozialisation im Speziellen fokussiert. Da die Konsumsozialisation theoretisch bisher relativ diffizil ist, wird in dieser Arbeit der Versuch unternommen, eine differenziertere, interdisziplinäre Betrachtung vorzunehmen, um der Konsumsozialisation Kontur zu verleihen und für die Fragestellung fruchtbar zu machen.
Im zweiten Teil der Arbeit wird zunächst die kritische Perspektive auf Konsum diskursiv dargelegt und die Konsumverantwortung, spezifischer formuliert die Konsument*innenverantwortung, vor diesem Hintergrund erörtert. Dafür werden zunächst die Konsument*innensouveränität und die Konsument*innenverantwortung allgemein dargestellt und daran anknüpfend die Dimensionen, Barrieren und weitere Akteure der Konsumverantwortung veranschaulicht. Die Verantwortungsfähigkeit an sich stellt eine grundlegende Voraussetzung im Kontext der Konsumverantwortung dar und wird daher aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive betrachtet. Als Abschluss des zweiten Teils der Arbeit wird ein erstes Zwischenfazit zum Verhältnis der Konsumsozialisation und der Konsumverantwortung gezogen.
Im dritten Teil der Arbeit wird die politische Bildung fokussiert. Zunächst wird Bildung allgemein betrachtet, dann die politische Bildung spezifiziert und kritisch reflektiert. Um den Einblick in die politische Bildung zu vertiefen, werden Praxisfelder, Zielsetzung sowie Didaktik und Methodik erläutert. Anschließend werden spezifische Aufgabenfelder der politischen Bildung betrachtet, die indirekt oder direkt auf Konsumverantwortung bezogen werden können. Im zweiten Zwischenfazit werden die Erkenntnisse der politischen Bildung kurz resümiert und dann die Verbindungen zwischen den Dimensionen der Konsumverantwortung und den spezifischen Aufgabenfeldern der politischen Bildung herausgestellt.
Am Schluss der Arbeit wird die Frage nach dem Spannungsverhältnis von Konsumsozialisation und politischer Bildung in Bezug auf die Konsumverantwortung vor dem Hintergrund dieser Arbeit aufgegriffen und nach Möglichkeit beantwortet.
Konsum an sich meint zunächst, etwas zu verbrauchen, und zwar im Sinne von „verzehren“, z.B. Nahrung, oder „verschleißen“, z.B. Gegenstände (vgl. Pfriem 2011: 312). Der Begriff Konsum impliziert aber nicht nur den Verzehr von Verbrauchsgütern oder die Nutzung dauerhafter Gebrauchsgüter, sondern die Aneignung von Dingen sowie die Inanspruchnahme von Dienstleistungen durch Personen oder private Haushalte (vgl. Neuner 2006: 105). Die Bedeutung von Konsum hat sich mit dem steigenden Anteil der Fremdversorgung und der Marktabhängigkeit verändert (vgl. Jäckel 2006: 17).
Hellmann (2013) beschreibt Konsum als einen konturlosen Begriff.
„Im Kern bezieht sich Konsum auf die Befriedigung beliebiger Bedürfnisse, ob durch Sach- oder Dienstleistungen, ob bezahlt oder nicht, ob individuell oder kollektiv konsumiert. […] Die Vielfalt der Konsumformen ist realiter unüberschaubar und nicht einfach zu systematisieren“ (S. 9 f.).
Im engeren Sinne wird Konsum als Kaufakt verstanden, weiteren Sinne zählen dazu auch die vor- und nachgelagerten Prozesse, also von der Entstehung der Bedürfnisse bis zur Entsorgung (vgl. Kleinhückelkotten 2011: 133).
Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird Konsum im weiteren Sinne verstanden, der Begriff bezieht sich dabei auf den Erwerb von Konsumgütern und Dienstleistungen sowie auf vorgelagerte und nachfolgende Prozesse.
Die Gesellschaft wird seit zwei bis drei Jahrzehnten zunehmend als „Konsumgesellschaft“ tituliert. Diese Bezeichnung drückt die zentrale Position von Konsum in der Gesellschaft aus (vgl. Bögenhold/Fachinger 2007: 19). Ein Gesellschaftsetikett lenkt die Aufmerksamkeit auf eine bestimmte signifikante Beobachtung, wie im Falle des Etiketts „Konsumgesellschaft“ auf den Konsum (vgl. Jäckel 2006: 19).
Hintergrund der wachsenden Popularität dieser Bezeichnung ist die Entwicklung und Etablierung des industriellen Kapitalismus im 20. Jahrhundert, insbesondere die damit verbundene Entwicklung neuer, massentauglicher Konsummärkte (vgl. ebd. S. 38). Diese Erweiterung des Konsumfeldes ging einher mit verschiedenen Veränderungen, wie beispielsweise der Ausdifferenzierung der Produktpalette; der Verbreitung billiger und somit massentauglicher Konsumgüter; der Ausweitung des Konsummarktes auf vorher nicht konsumierbares, z.B. Freizeitaktivitäten, sowie der Expansion der Mode und der Aufladung von Gütern mit sozialer Symbolik (vgl. Schneider 2000: 18 f.). Der Konsum ist somit zum Motor der Produktion geworden (vgl. Cortina 2006: 91). Vor dem Hintergrund des Kapitalismus und der ihm inhärenten Fortschrittskonnotation wird die Steigerung von Konsum bzw. der steigende käufliche Erwerb von Konsumgütern als Ausdruck ökonomischen und damit auch gesellschaftlichen Fortschritts aufgefasst (vgl. Pfriem 2011: 307). Konsum, im Sinne von „Erwerb“, ist zwar eine wirtschaftliche Aktivität, betrifft aber darüber hinaus die gesamte Gesellschaft (Luhmann 1988: 72 f.).
Im Sinne der „Konsumgesellschaft“ wird der Konsum, besonders auch von Produkten, die nicht lebenswichtigen Bedürfnissen wie der Nahrungsaufnahme dienen, als zentrale Dynamik des gesellschaftlichen Lebens verstanden (vgl. Cortina 2006: 91).
Ekins (1991) definiert die Konsumgesellschaft als
„jene Gesellschaft, in der Besitz und Gebrauch einer steigenden Anzahl und Vielfalt an Gütern und Dienstleistungen das vorrangige Streben der Kultur darstellen und als sicherster Weg zu persönlichem Glück, sozialem Status und nationalem Erfolg gelten“ (S. 244, zit. n. Cortina 2006: 91).
Brewer (1997) betrachtet die Konsumgesellschaft als ein Sozialsystem, welches folgende spezifische Charakteristika aufweist:
- ein ausgiebiges Warensortiment für nahezu alle Verbraucher*innen
- ein komplexes Kommunikationssystem, das Ware mit Bedeutung besetzt und Bedürfnisse weckt
- Herausbildung und Begründung bestimmter Regeln des Geschmacks (Mode/Stil)
- höhere Bewertung von Freizeit/Konsum gegenüber Arbeit/Produktion
- Konsument*innen werden zur zentralen Sozialfigur
- gleichzeitige Ambivalenz bis hin zu Feindschaft gegenüber dem Konsum (vgl. S. 52 ff.)
Auch wenn der Begriff...