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E-Book

6000 Kilometer westwärts

Auf dem Rad mitten durch Amerika

AutorDirk Rohrbach
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783492975353
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Dirk Rohrbach fühlt sich in keinem anderen Land so zuhause wie in Amerika. 40 Reisen in 25 Jahren hat er dorthin unternommen, Zehntausende von Meilen zurückgelegt: zu Fuß, im Kanu, auf dem Fahrrad und mit seinem 74er Ford Truck Loretta. Jetzt sattelt er wieder sein Rad und durchquert den Kontinent vom Atlantik zum Pazifik, immer auf der Suche nach spannenden Geschichten und außergewöhnlichen Menschen. Die genaue Route ergibt sich unterwegs, kein GPS-Navi, sondern Seiten aus dem Straßenatlas weisen ihm den Weg. Er nimmt uns mit auf eine Reise durch ein Land, an dessen Schizophrenie er hin und wieder verzweifelt, das ihn doch jedes Mal aufs Neue inspiriert.

Dirk Rohrbach, 1968 in Hanau geboren, ist Reisender, Fotograf, Journalist und Arzt. Er zählt mit seinen preisgekrönten Livereportagen zu den renommiertesten und erfolgreichsten Vortragsreferenten im deutschsprachigen Raum. Er bereist intensiv Nordamerika, umrundete die USA mit dem Rad und paddelte auf dem Yukon-River von den Quellseen durch Kanada und Alaska bis zum Beringmeer. Außerdem engagiert er sich mit Projekten zur Rettung der Sprachen der amerikanischen Ureinwohner. Er pendelt ohne festen Wohnsitz zwischen Amerika und Europa, von ihm liegen u.a. vor »Yukon: 3000 Kilometer im Kanu durch Kanada und Alaska« und die »Gebrauchsanweisung für Alaska«.

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Leseprobe

Wie schön Deutschland im April sein kann. Und wie einfach man sich hier zurechtfindet. Nahezu lückenlos markieren die Wegweiser an den Radwegen unsere Strecke. Fulda, Werra, Weser, Bremen mit kurzem Fotostopp bei den Stadtmusikanten, dann Finale entlang der Bundesstraße nach Bremerhaven. Fünf Tage brauchen Matthias und ich für die gut 650 Kilometer durch die Flusstäler bis zur Nordseeküste. Mein Nacken ist verspannt, das rechte Knie geschwollen. Fit fühlt sich anders an. Immerhin hat sich die Ausrüstung bewährt, auch wenn ich wieder viel zu viel eingepackt habe. Aber in den nächsten zwei Wochen auf dem Schiff kann ich ja aussortieren.

Bremerhaven – New York, eine geschichtsträchtige Route. Mehr als sieben Millionen Menschen sollen von hier aus in eine unbekannte Welt aufgebrochen sein, verkündet der illuminierte Schriftzug über der Rezeption des Auswanderermuseums am Hafen, das wir am Morgen vor dem Ablegen meines Containerschiffs noch kurz besuchen.

Matthias begleitet mich mit dem Rad bis zum Kai, wo die »MSC Uganda«, noch fest vertäut, gerade beladen wird. Tausende von Containern müssen auf oder in den Schiffsrumpf, überall wuseln Hafenarbeiter und Matrosen. Ich frage mich durch und werde mit knappen Worten an den Kapitän verwiesen. Waldemar Murawski fährt seit Jahrzehnten zur See. Bei einem Gespräch später an Bord erklärt er mir die Faszination, die die Meere auf ihn ausüben.

»Als Kapitän da draußen bin ich immer noch ein Stück weit unabhängig, ich muss schnell entscheiden. Und das macht viel Spaß.«

Der Deutsch-Pole mag die Herausforderung, auch wenn Bürokratie und Richtlinien die romantische Vorstellung von der Seefahrerei genauso schnell zurechtrücken wie meine, während der Überfahrt als Hilfsmatrose auf oder unter Deck eingebunden zu sein. Schade, ich hatte mich schon im schnieken schneeweißen Matrosenoutfit das Oberdeck schrubben oder im Maschinenraum Kohle schippen sehen. Wobei die »Uganda« natürlich auf einen ganz anderen Treibstoff setzt: »Wir fahren mit verschiedenen Typen von Schweröl. In Europa darf man nur mit Low-Sulphur-Brennstoff fahren«, erklärt mir Kapitän Murawski. Das Gleiche gilt für Amerika: Ab einer Entfernung von 200 Meilen vor der Küste dürfen nur schwefelarme Treibstoffe eingesetzt werden. Mehr als 23 Knoten kann die »Uganda« damit machen, also etwa 43 Stundenkilometer. Meistens fährt sie aber im Eco-Modus mit 18 Knoten, um Sprit zu sparen. Dann braucht sie fast 100 Tonnen pro Tag. Die Tanks fassen mehr als 3000 Tonnen Treibstoff, das reicht theoretisch also für knapp einen Monat auf See. Tausende von Tonnen Schweröl pro Überfahrt – das klingt nicht sehr umweltfreundlich. Wenn man aber die Ladekapazität eines Superfrachters berücksichtigt, gibt es keine ressourcenschonendere Transportmethode.

Die Tage an Bord der »MSC Uganda« werden entspannend und geschäftig zugleich. Schlafen, Essen, Lesen und Arbeiten. In meiner passablen Zweizimmerkajüte schreibe ich meine »Gebrauchsanweisung für Alaska« fertig und plane grob meine Route. Alles ohne Internet, das an Bord eigentlich nur auf der Kommandobrücke verfügbar ist, mit steinzeitlicher Analoggeschwindigkeit. Ich probiere den Fitnessraum mit ein paar Hanteln, Tischtennisplatte und Ergometer. Leider ist der Sattel defekt und ein Training vorerst nicht möglich. Auf Sauna und Pool, den mir die Crew auf Wunsch gerne mit eiskaltem Atlantikwasser gefüllt hätte, verzichte ich und freue mich stattdessen auf die drei regelmäßigen Mahlzeiten in der Offiziersmesse. Die deutsche Crew und die zwölf Matrosen aus Kiribati und von den Philippinen essen getrennt. Es gibt reichlich, auch wenn die Gaumenfreude ein wenig zu kurz kommt. Zweimal am Tag brüht der reizende Steward extra für mich eine Kanne Kaffee und reicht dazu Dosenplätzchen. Zur Verdauung der vielen Kalorien gönne ich mir gelegentlich einen Hollywood-Blockbuster aus dem DVD-Archiv des Schiffs. Kein Wunder, dass der Bund meiner Fleecehose sehr bald spannt.

Die »Uganda« läuft unter deutscher Flagge und pendelt regelmäßig über den Nordatlantik. Gut 4000 Container kann sie maximal fassen, damit ist sie ein großer Pott, aber kein Superfrachter. Die neuesten Schiffe schaffen locker das Vierfache. Für Passagiere bieten Spezialagenturen seit Jahren die Eignerkabinen an, in denen ist das Reisen zwar weniger luxuriös als auf einem Kreuzfahrer, aber allemal geräumiger und in meinem Fall auch deutlich langsamer. Denn es geht nicht auf dem direkten Weg an die amerikanische Ostküste, sondern erst nach Zwischenstopps in Felixstowe, Großbritannien, Antwerpen, Belgien, und Le Havre in Frankreich endgültig raus auf den Ozean. Der gibt sich während der gesamten Überfahrt weitgehend ruhig. Nur an zwei Tagen wogen die knapp 300 schwergewichtigen Meter der »Uganda« deutlicher wahrnehmbar in den Wellen.

Kurz vor der Ankunft dümpeln wir stundenlang vor der Küste. Wir sind zu früh dran, unser Anlegeplatz wird erst am nächsten Morgen frei. Ich stelle mir den Wecker auf vier Uhr, um die Einfahrt nicht zu verpassen. Schlaftrunken torkle ich dann die Treppe rauf zur Brücke. Ich reibe mir die Augen, um sicherzugehen, dass ich nicht träume. Kein Zweifel, das muss sie sein. Verheißungsvoll und vertraut reckt sie ihren rechten Arm in den noch immer stockfinsteren Nachthimmel. Lichtstarke Scheinwerfer lösen ihr grünes Kupfergewand aus der schier endlosen Skyline, die dagegen nur spärlich beleuchtet wirkt. Mir treibt es unvermittelt die Tränen in die Augen, nicht nur wegen der auffrischenden Brise. Was müssen wohl erst die zahllosen Einwanderer in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gefühlt haben, die sich beim Anblick der Freiheitsstatue ihrem Traum einer neuen Existenz im gelobten Land ganz nah wähnten?

Ich bin vor dieser Reise noch nie in New York gewesen, hatte immer Angst vor der großen Stadt und muss jetzt feststellen, dass sie völlig unbegründet war. Der Big Apple ist zwar groß, aber durch die unterschiedlichen Ortsteile auch irgendwie überschaubar, und die Orientierung fällt durch die schachbrettartige Anordnung der Straßen gar nicht so schwer.

200 000 Radfahrer sollen täglich auf New Yorks Straßen unterwegs sein. Eine Dreiviertelmillion Einwohner nutzt das Rad regelmäßig. Die Stadt hat sich darauf eingestellt und in den letzten fünf Jahren 500 Kilometer neue Radwege gebaut. Und nachdem die Durchschnittsgeschwindigkeit der Autos in Manhattan laut Statistik bei knapp 14 Stundenkilometern liegt und es im übrigen New York nicht besser zu sein scheint, sind wir auf den Rädern auch nicht langsamer.

Der Pfarrer der Seemannsmission, der bei der Ankunft jedes Schiffes an Bord kommt und seine Hilfe anbietet, nimmt mich inklusive Rad und Ausrüstung in seinem Auto vom Hafen mit nach New Jersey. In einem Coffeeshop checke ich zum ersten Mal seit zwei Wochen meine Mails, rund 130 sind im Posteingang. Die dringendsten beantworte ich gleich, den Rest hebe ich mir für später auf.

Ich schwinge mich aufs Rad und fahre meine ersten Kilometer durch Amerika. Am Hudson River entlang gelange ich über die George Washington Bridge nach Manhattan, finde mühelos Central Park, Times Square und den neuen Freedom Tower, wo ich in ein paar Tagen eine Fähre besteigen und die Stadt verlassen werde.

Zuvor aber will ich noch einen Mann treffen, der genauso gerne Rad fährt wie ich. Sam Polcer ist in erster Linie Fotograf. Durch sein schickes Buch »New York Bike Style« bin ich auf ihn aufmerksam geworden. Dafür hat er eine Reihe hipper New Yorker auf ihren stylischen Fahrrädern abgelichtet, um zu zeigen, wie cool Radfahren sein kann. Die meisten seiner Models sprach er zufällig auf der Straße an, bevorzugt in Brooklyn, wo Sam auch lebt. Die lässigen Fotografien zeigen Kuriere, BMX-Fahrer, Fixie-Anhänger und Mitglieder des Puerto Rican Schwinn Club vor, hinter oder auf ihren gepimpten, verchromten Oldtimern. Hauptberuflich arbeitet Sam für die gemeinnützige Organisation Bike New York, ist dort der director of communications, also für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. »Wir bringen den Leuten bei, wie man Rad fährt – Kindern, aber auch Erwachsenen«, erzählt er mir im Red Lantern, einem coolen Coffeeshop mit Radwerkstatt in Brooklyn, in dem wir verabredet sind. Denn Radfahren scheint in den USA längst nicht so selbstverständlich wie in Europa. »Wie heißt es so schön: Radfahren verlernst du nie! Aber viele Menschen hier hatten nie die Gelegenheit, es richtig zu lernen.« Entweder weil das Rad fehlte, der Platz oder die Eltern es für zu gefährlich hielten in der Großstadt. »Allein im letzten Jahr haben wir mehr als 17 000 New Yorkern Radunterricht gegeben, Anfängern, aber auch Fortgeschrittenen, denen wir erklären, wie man im Straßenverkehr sicherer unterwegs ist«, freut sich Sam über den Erfolg von Bike New York. Es sei das größte Programm dieser Art, schwärmt er weiter, und wie toll es sei, gerade Erwachsene aufs Rad zu bringen. »Kinder lernen ständig Neues und kriegen alles locker in einer Stunde hin. Aber Erwachsene sind meist unsicher, und wenn sie es dann doch schaffen, gib’s Tränen und Freude darüber, dass sie etwas gelernt haben, das sie für den Rest ihres Lebens nutzen können. Das ist jedes Mal sehr inspirierend.«

Bike New York bietet nicht nur Radunterricht für alle Altersklassen an, sondern organisiert auch diverse Events und die New Yorker Bike Expo. Höhepunkt des Jahres ist die Five Borough Bike Tour Anfang Mai, bei der jährlich mehr als 30 000 Radfahrer aus den ganzen USA und dem Rest der Welt durch die Häuserschluchten aller fünf New Yorker Stadtteile strampeln. Wenn das so weitergeht,...

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