3.1.1 Tourismus - Markt und Branche
Nicht nur weltweit ist der Tourismus die Wachstumsbranche Nummer eins, auch in Deutschland ist er ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Der Tourismus trägt als klassische Querschnittsbranche in hohem Maße zur Sicherung von Arbeitsplätzen in Deutschland bei. Nicht nur das Gastgewerbe ist als Einnahmequelle zu betrachten, sondern auch der Einzelhandel und verschiedenste Dienstleistungszweige.
Aktuell generiert das Tourismusgewerbe offiziell 2,8 Millionen Arbeitsplätze. Die Dunkelziffer liegt vermutlich höher, da der Tourismus vielen Beschäftigten nur anteilig als Erwerbsquelle dient.[58] Der Jahresumsatz im Tourismus (siehe Abbildung 4) liegt in Deutschland bei fast 233 Milliarden Euro und nimmt damit einen vorderen Platz im Branchenvergleich ein.
Abbildung 4: Bruttoumsätze im Deutschlandtourismus in 2009[59]
Die Anzahl der Gästeunterkünfte erhöhte sich nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (siehe Abbildung 5) in den letzten 10 Jahren um über 25 Millionen, die Zahl der Übernachtungen stieg dabei um fast 40 Millionen.
Abbildung 5: Übernachtungen und Gästezahlen 1999 und 2009[60]
Die Tourismusbranche hängt wie kaum eine andere Branche eng von gesellschaftlichen und natürlichen Entwicklungen ab. Für die längerfristige Entwicklung der Gesellschaft ist vor allem eine Rahmenbedingung unabänderlich: der demographische Wandel. Im Tourismus wird, speziell auf der Nachfrageseite, die zunehmende „Alterung“ der Gesellschaft für beträchtliche Veränderungen sorgen. Das touristische Marktsegment der Senioren in Deutschland wird aufgrund der soziodemographischen Entwicklung mengenmäßig ansteigen. Die erkennbaren Möglichkeiten im Seniorentourismus würden noch bedeutender werden, wenn die Lebenserwartung schneller zunimmt als der Anstieg der Lebensarbeitszeit. Auch die erkennbaren Verbesserungen des Gesundheitszustands bei der älteren Bevölkerung oder technologisch und organisatorisch bedingte Annehmlichkeiten des Reisens können das demographisch-quantitativ bis 2050 zu erwartende Potential für den Tourismus ankurbeln helfen. Dass die Senioren in absehbarer Zukunft „der Wachstumsmotor des Tourismus“ bleiben könnten, hängt auch damit zusammen, dass ein großer Teil dieses Marktsegments finanziell zurzeit noch gut situiert und dort momentan noch beträchtliche Kaufkraft für den touristischen Konsum vorhanden ist.[61]
3.1.2 Trends in der Tourismusbranche
Die Entwicklungen in der Tourismusbranche werden sich weniger auf die Anzahl der Reisen auswirken als auf Aufenthaltslänge und Gestaltung (Reiserhythmus,
Reisezeitpunkt, Zielwahl, kombinierte Geschäfts- und Privatreisen). Ein Trend ist bei Urlaubsreisen in Richtung Qualität zu erkennen. Dies erfordert eine stärkere Vernetzung sportlicher, kulinarischer und kultureller Interessen.[62] Veranstalter, die es verstehen, mit Individualisierungs- und Modularisierungskonzepten die immer spezielleren Bedürfnisse der Kunden anzusprechen und ihnen Zeitersparnis und Bequemlichkeit zu bieten, könnten von diesem Trend profitieren. Damit lassen sich auch – trotz mancher Unkenrufe bezüglich ihres Niedergangs – positive Perspektiven für organisierte Reisen erkennen.[63]
Eine ganz besondere Entwicklung erfährt seit einiger Zeit der Bereich Gesundheitsurlaub und sportorientierter Aktivurlaub. Immer mehr Geld wird in Wellness und Fitness investiert. In diesem Bereich bestehen vor allem für pauschale Angebote Wachstumsmöglichkeiten, wie beispielsweise unter Betreuung stehende Fitnessprogramme, Saunalandschaften, Wellnessoasen, Entspannungstechniken und gesellige Rahmenprogramme. Die Kombination der Reisemotive Erholung und sportliche Aktivität mutet unerschöpflich an.[64]
Laut Reiseanalyse der Forschungsgemeinschaft FUR in Kiel werden auch 2011 rund ein Drittel der Deutschen ihren Urlaub wieder zwischen Flensburg und Passau verbringen – Tendenz steigend. Vor allem die Baden-Württemberger sind reiselustig und heimatverbunden zugleich, sie sind die wichtigste Gästegruppe im eigenen Land: 25 Prozent aller deutschen Urlaubsgäste in Baden-Württemberg kommen aus dem eigenen Bundesland und verreisen in der Heimat. Ein Standortvorteil, von dem Bad Wildbad mit seinem europaweit herrschaftlichsten Kurpark bislang nur unzureichend profitiert. Die Kieler Forscher erwarten zudem für 2011 ein Rekordjahr für den Tourismus, wobei anzumerken bleibt, dass Tourismusziele immer austauschbarer werden. Der Gast ist heute vielseitiger interessierter und sieht gleich in mehreren Destinationen eine Möglichkeit, seine Urlaubsbedürfnisse zu befrieden.[65] Die neue Reiseanalyse- Trendstudie „Urlaubsreisetrends 2020“ hält noch ein weiteres wichtiges Fazit bereit: Der Tourismus hat Zukunft.[66]
3.2.1 Der demographische Wandel in Deutschland
Die Einwohnerzahl Deutschlands wird sich in den kommenden 10 bis 20 Jahren vermutlich nur moderat verändern (eher sinken als steigen), allerdings führen dauerhafter Geburtenrückgang und zugleich steigende Lebenserwartung zu einer deutlichen Verschiebung in der Altersstruktur: Nach Angaben der 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes waren 2001 20,9 Prozent der deutschen Bevölkerung unter 20 Jahre und 24,1 Prozent über 60 Jahre alt.[67] Im Jahr 2050 werden nur noch 16,1 Prozent unter 20, dagegen 36,7 Prozent 60 Jahre oder älter sein. Die Überalterung der Gesellschaft wird zum einen die Kosten für Gesundheit und Pflege in die Höhe treiben, zum anderen ist absehbar, dass in naher Zukunft der so genannte Generationenvertrag der Alterssicherung nicht mehr bezahlbar ist, da die Zahl der Menschen im Erwerbsalter kontinuierlich sinkt.[68] Einen Überblick über die Entwicklung der Altersstrukturen unterteilt nach Frauen und Männern bietet auch die sogenannte Alterspyramide des Statistischen Bundesamtes, diese findet sich als Anhang II.
3.2.2 Auswirkungen des demographischen Wandels auf den Tourismus
Der demographische Wandel kann den Tourismus an unterschiedlichen Stellen beeinflussen. Das leicht rückgängige Bevölkerungsvolumen hätte, laut Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie im Juli 2009, bei einer konstanten Urlaubsreiseintensität und Urlaubsreisehäufigkeit keinen nennenswerten Einfluss auf die quantitative Urlaubsnachfrage und die Anzahl der Inlands- bzw. Auslandsreisen der Deutschen. Allerdings ist die Veränderung der Altersstruktur hinsichtlich des demographischen Wandels für die Urlaubsreisenachfrage von besonderer Relevanz. Sie hat eine neue Parzellierung der Urlauber auf die verschiedenen Altersgruppen zur Folge: Die Senioren nehmen einen höheren Stellenwert ein (siehe Abbildung 6), jüngere Altersgruppen verlieren quantitativ an Bedeutung. Damit geht auch eine Veränderung im Reiseverhalten einher.[69]
Abbildung 6: Volumen und Struktur der Urlaubsreisenden und Urlaubsreisen 2007 und 2020[70]
Weiterhin können nach der Studie im Auftrag des Bundesministeriums folgende zu erwartende Effekte des demographischen Wandels auf die Nachfrage nach Urlaubsreisen in Deutschland zusammengefasst werden:
Leichter Anstieg der Nachfrage
Verschiebung in der Struktur der Nachfrage, dabei wächst die Bedeutung der Senioren im Tourismus rascher als ihr Anteil in der Bevölkerung
Urlaubsreisen in Begleitung von Kindern nur leicht rückläufig
Mehr Kurzurlaube
Verschiebungen im Reiseverhalten, für die vor allem Reisen von Personen der Altersgruppe 60 bis 79 Jahre die Ursache sind. Folgen daraus:
Mehr Auslands- und weniger Inlandsreisen,
mehr Flug- und Pkw-Reisen und weniger Bus- und Bahnreisen,
eine geringere Saisonalität (weniger Sommerurlaube)
sowie ein höherer Stellenwert der Bereiche Kultur, Natur und Gesundheit bei gleichzeitigem Rückgang der Bade- und Ausruhurlaube.[71]
Der demographische Wandel kann nun auf Bundesebene, aber auch auf Länder- oder Regionenebene sowohl als Chance als auch als Risiko für den Deutschland-Tourismus gewertet werden. Eine politische Aufgabe ist es nun, für die Koordination des Umgangs mit den touristischen Auswirkungen des demographischen Wandels zu sorgen. Die Überprüfung der vielfältigen...