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E-Book

The Travel Episodes

Über die Lust am Alleinreisen

VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783492992787
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Jeden Tag nach den eigenen Wünschen und Vorlieben leben? Die Freiheit, zu bleiben oder zu gehen, wie es einem beliebt? Im eigenen Tempo reisen, ohne Kompromisse eingehen zu müssen? Diese Autorinnen und Autoren erzählen vom Reisen mit sich selbst und wie es die eigene Wahrnehmung verändert. Denn das Solo-Reisen öffnet verborgene Türen und fremde Herzen, es macht verwundbar, aber auch empfänglich für die Wunder der Ferne. Diese Geschichten zeugen von der Lust, einfach allein loszuziehen und doch nicht einsam zu sein. Für Alleinreisende und all jene, die es werden wollen.

Johannes Klaus liebt das Reisen. Und Geschichten, die etwas von dieser schönen Welt erzählen. Das aufregende und manchmal sogar lebensverändernde Abenteuer, die Erde zu bereisen, vermittelt er Tausenden Lesern als Herausgeber der Reiseblog-Plattform reisedepeschen.de und seit 2015 multimedial auf travelepisodes.com. Er wurde mit dem renommierten Grimme Online Award ausgezeichnet und gründete 2018 den Reisedepeschen Verlag. Johannes Klaus lebt mit seiner Familie in Berlin.

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Leseprobe

Draußen ruft der Muezzin, die Klimaanlage rauscht. Zwischen gestern und heute liegt ein ganzer Kosmos, so scheint es. Aus meinen Haaren rieseln Sandkörner auf das weiße Laken. Irgendetwas hat sich verändert in mir. Eine Schwingung, ein Gefühl.

Seit ich aus der Wüste zurückgekehrt bin, brüllt die Welt. Und obwohl mein Fenster geschlossen ist, höre ich das Hupen und das Rattern und denke an das Schweigen in Wadi Rum. An die Sonne und wie sie die Wildnis in Goldpapier wickelte, denke an die Kamele mit ihren langen Wimpern und an ihre Fußspuren im Sand.

Rostrote Berge standen wie Schachfiguren um uns herum, unbeweglich seit Ewigkeiten, und wir schaukelten langsam vorbei.

Wadi Rum überstieg meine Vorstellungskraft. Weitläufig, einsam und gottähnlich sei sie, schrieb T. E. Lawrence über jene Landschaft, die mich berührte, ja, die aufrührte. Ich glaube nicht an Gott, und gleichwohl hat der Mann recht.

Zwei Tage ritt ich mit einem Beduinen durch die Wüste. 48 Stunden. 2880 Minuten. Das ist nicht viel, und doch schien die Zeit an jenem Ort bedeutungslos. Niemand war in Eile, niemand lebte schnell, bevor er alt wurde. Klar, auch bei den Beduinen hatte die Moderne Einzug gehalten. Sie benutzten Smartphones und bewarben ihre Touren im Internet. Sie schauten YouTube-Videos und posteten Selfies auf Instagram. Trotz alledem war ihre Lebensweise seltsam archaisch geblieben, war weiterhin an Tradition und Religion gebunden, im Guten wie im Schlechten.

Omar sammelte Zweige, machte Feuer, und wir kochten gezuckerten Tee in einer verrußten Kanne aus Gusseisen, während die Kamele uns dabei zuschauten. Bei Sonnenuntergang kehrten wir ins Camp zurück und aßen zusammen mit anderen Beduinen Fladenbrot und Reis, sangen arabische Lieder und trommelten dazu. Nur Ramiz sprach Englisch. Um seinen Kopf war ein weiß-roter Shemagh geschlungen, der im Schein der Flammen leuchtete, und wir scherzten, und Ramiz lachte, als ich erzählte, wie unbequem ein Kamelrücken doch sei. Der Beduine war cool und leise und frei und übermütig, als wäre er erfüllt von Naturgewalten. Und schön war er. Irgendwann verließen wir das Zelt, gingen ein paar Schritte in die dunkle Wüste hinein und starrten in den Sternenhimmel. Die Nacht war kalt, und wir froren ein wenig, als wir uns küssten.

Aqaba ist nicht schön. Die Stadt lärmt und stinkt nach Abgasen. Am nächsten Morgen erwische ich den Bus zurück nach Amman, und noch immer hängt Wadi Rum unter meinen Nägeln und zwischen meinen Schnürsenkeln.

»Gestern war ein wunderbarer Tag, da ich die Wüste entdeckte«, schrieb die große Orientreisende Freya Stark. Jetzt habe ich den Satz verstanden.

Der Busfahrer gibt Gas, am Fenster wehen Berge vorbei, Ödnis, eine Tankstelle, Gemüseverkäufer am Straßenrand. Zigarettenpause.

Jordanien bewegt. Die Menschen sind würdevoll und bescheiden, die Landschaft erdet.

Im wahrsten Sinne. Ich bleibe sitzen, betrachte meine Fingernägel und spüre den Sonnenbrand auf meinen Wangen. Und dann ist da dieser Wachstumsschmerz, weil sich das Herz weitet.

Bald einen Monat bin ich schon unterwegs, am Ende werden es zehn Wochen und vier Tage sein. Jordanien, Kuwait, Bahrain, Vereinigte Arabische Emirate, Oman, Katar. Allein. Wie immer. Es geht nur so. Und stets ernte ich verdatterte Blicke, und die Gesellschaft bescheinigt mir Verwegenheit, weil ich, eine Frau, alleine losziehe. Als wäre ich ein Unikum, ein seltenes Exemplar, obwohl das Bullshit ist.

Wenn eine Frau ohne Begleitung reist, wird sie als mutig bezeichnet, als tapfer. Ein Etikett, das an ihr klebt wie nasse Kleidung. Ich verstehe die Aufregung darum nicht. Männer gelten nicht als mutig, wenn sie sich alleine auf den Weg machen, eher als abenteuerlustig. Oder selbstbestimmt. Sie sind die einsamen Wölfe, nicht die schrulligen Tanten. Kein Mensch wundert sich über männlichen Pioniergeist.

Macht es denn einen Unterschied, ob ich mit oder ohne Penis verreise?

Warum braucht eine Frau Mut und ein Mann nicht?

»Alleine? Als Frau? Du hast Eier!«, sagte ein palästinensischer Taxifahrer letzte Woche zu mir. Dass eine Frau unbemannt, also ohne Vater, Bruder oder Ehemann durch die Welt stromert, ist in dieser Welt noch immer wunderlich. Und doch bin ich davon überzeugt, dass es allein reisende Frauen oft leichter haben als allein reisende Männer, insbesondere im Orient, denn wir werden eingeladen, beschenkt, und uns wird die Tasche getragen.

Eier wachsen mir deswegen noch lange nicht, und sowieso: Meine Reisen haben weniger mit Mut zu tun als vielmehr mit Getriebenheit. Ich muss raus. Weil ich sonst eingehe. Ich muss dem grimmgrauen Alltag entkommen: Das Reisen ist meine Flucht aus der Welt in die Welt hinein. Das Reisen rettet mich, ist der Tropf, an dem ich hänge. Es gibt mir die Illusion, am Leben zu sein. That’s it.

Ja, ich weiß, das ist nicht besonders spektakulär. Originell ebenso wenig. Ich bin auch nicht an Selbstfindung interessiert. Oder an Erleuchtung. Ich versuche nur zu überleben.

Blogs und Zeitschriften titeln gerne mit ausgelutschten Schlagzeilen wie Ich gehe los, um bei mir anzukommen oder Aufbruch zu mir selbst. Wie fad. Das klingt, als hätte man sein Ich irgendwo verlegt und müsse es jetzt suchen gehen. »Bei den besten Reisen habe ich stattdessen das Gefühl, ich bastle an mir selbst.« Und zwar »ohne mitgebrachten Vertrautheitspuffer«, sprich, der Reisende schlägt sich alleine durch, wächst daran und verzichtet auf diesen Selbstfindungsfirlefanz. So sagt es die Autorin Anja Rützel und bringt es damit auf den Punkt.

Trotzdem sind die meisten Wannabe-Weltenbummler am liebsten in Gruppen unterwegs, schleppen ihren Vertrautheitspuffer mit, tragen alle die gleiche Kleidung, essen alle das gleiche Essen, erleben alle den gleichen Thrill auf dem Weg zum Ich. Ob nun eine Ayurveda-Kur auf Bali, das Yoga-Retreat in Indien, in dem mir der Yogalehrer sagt, wann ich einatmen soll, oder die Besteigung des Kilimandscharo, um auf dem Gipfel gemeinsam mit tausend anderen Wannabe-Weltenbummlern irgendwelche Erkenntnisse zu ersehnen, die sich dann doch nicht einstellen. Die Einwohner der konsumierten Länder sind oft nur Staffage, exotisches Beiwerk, als wären sie einfach dazugebucht. Die Teilzeit-Marco Polos auf Selbstsuche fühlen sich in ihren Schöffel-Jacken mega independent, fotografieren die Einheimischen ungefragt, obwohl diese sich wegdrehen, entdecken bereits Entdecktes, filmen mit ihrer GoPro aus dem klimatisierten Reisebus heraus den Dreck auf den Straßen und frühstücken schließlich interkontinental.

Individualität steht an erster Stelle – aber bitte nicht allein. In der Gruppe fühlt sich der Nonkonformist am wohlsten.

Mag sein, dass der Satz garstig klingt, aber es regnet draußen, und ich trinke Rotwein. Jordanischen Rotwein. Den mir einer der beiden einzigen Winzer im Land geschenkt hat. Ich würde ihn nicht trinken, wäre ich in einer Pauschalkompanie unterwegs gewesen. Denn dann hätte ich den Weinmacher nicht kennengelernt, er hätte mich nicht in sein Geschäft eingeladen, wir hätten nicht über Islam, Christentum und Korruption diskutiert und dabei verschiedene Weine verkostet, ich hätte nichts gelernt und wäre jetzt nicht beschwipst.

Vermutlich meinte Stefan Zweig ja genau das mit seinem Appell: »Reisen soll Verschwendung sein, Hingabe der Ordnung an den Zufall, des Täglichen an das Außerordentliche.«

Also lass dich ein! Gib die Kontrolle ab, bewege dich raus aus der Komfortzone, mach’s im Alleingang. Scheitere. Dann erlebst du Intensität.

Natürlich schwindele ich, wenn ich behaupte, mir würde das mit der Hingabe immer gelingen. Mitnichten. In den ersten beiden Wochen meiner Reisen bin ich grundsätzlich exorbitant uncool, meine Gedanken kreisen um die letzte Handyrechnung, ich checke das Wetter in Düsseldorf, oder ich rätsele über Annegret Kramp-Karrenbauers mottenkistiges Weltbild. Weil ich mich unsicher fühle, klammere ich mich an die Heimat. Doch irgendwann gewinne ich meine Lockerheit zurück und komme da an, wo ich bin. Zumindest bis zu einem gewissen Punkt. Wirklich ankommen kann ich vielleicht nur dort, wo mein Zuhause ist. In der Fremde bleibe ich fremd. Aber dafür werde ich wacher, bin gezwungen, mich zu öffnen. Und dann wird Soloreisen intensiv.

Das ist oft lästig, weil da niemand ist, der mich tröstet oder das Busticket kauft. Und ja, womöglich braucht es dafür zuweilen ein Quäntchen Mut. Weil ich mich über meine eigenen Grenzen erheben muss. Zu einer kühnen Abenteurerin macht mich das allerdings noch lange nicht. Blödsinn. Bin ich doch weder als Reinhold Messner noch als Gertrude Bell unterwegs. Aber Reisen kann trotz alledem Ängste auslösen. Gefährden. Nerven. Ekeln. Langweilen. Glücklich machen. Nur so kann ich mich weiterentwickeln. Das ist etwas anderes als Selbstfindung. Entwickeln ist besser als Finden.

In Wadi Rum fand ich mich nicht. Zum Glück. Wer weiß, wer mir da begegnet wäre. Nein, ich staunte bloß. Hatte Schmerzen. Ich tanzte, und ich küsste. Erkannte erneut, dass die Erdbewohner liebenswürdiger sind, als das Fernsehen oder das Internet uns glauben machen wollen. Ich lernte neue Worte. Trank süßen Tee. Und ich kann jetzt ein Kamel reiten.

Umso weiter ich reise, umso größer wird die Welt, denn ich begreife, wie wenig ich weiß, und nur allein kann ich eintauchen in ein Land. Höre anderen Menschen zu. Stelle mich meinen Vorurteilen. Meinen Ängsten. Nicht ohne Grund lautet der Titel eines berühmten Märchens: »Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen«. Einer zieht los. Nicht drei oder vier.

Den letzten Satz schrieb ich am Flughafen. In...

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