Vor knapp vier Jahren, am 13.07.2011, registrierte die Charta der Vielfalt[1] mit der eintausendsten Unterzeichnung einen sehr prominenten Partner, den Deutschen-Fußball-Bund (DFB). Der Charta der Vielfalt e.V., gegründet im September 2010, befasst sich intensiv mit der Etablierung des Diversitätsgedankens in der deutschen Gesellschaft und Wirtschaft. Mitglieder der Initiative sind vor allem namhafte deutsche Großunternehmen wie Adidas, BASF, Bayer, BMW, die Deutsche Bahn, die Deutsche Bank, Telekom, SAP und viele mehr. Unter der Schirmherrschaft von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel wird den vorgegebenen Werten, Normen und Zielen der Charta beigepflichtet. Das Bestreben nach Vielfalt spielt gerade in der Wirtschaft schon länger eine tragende Bedeutung. Dabei wird versucht die Diversität in der Belegschaft konstruktiv und positiv zu nutzen. Für folgende Ausarbeitung soll dies auch auf den Sport übertragen werden. Wenn die im deutschen Fußball stützende Institution mit der Unterschrift der Grundsätze der Charta ein Zeichen setzt, so hat das einen hohen Stellenwert für die im Verband organisierten Vereine, die sich in ihren Vereinssatzungen den Vorgaben des DFB unterwerfen.
Das vieldiskutierte und in der Geschichte des deutschen Profifußballs einmalige Coming-Out des ehemaligen Bundesligaprofis Thomas Hitzelsberger zeigt ebenfalls, dass sich der Fußball öffnen muss und sich mit einer vielfältigeren und offenen Gesellschaft konfrontiert sieht. Vor allem ein ehrlicher und vorurteilsfreier Umgang mit einer diversen und heterogenen Belegschaft, im Sinne von aktiven sowie passiven Akteur_innen, die in einem Fußballverein angestellt sind, wäre wünschenswert.
Dahingehend versucht die Charta der Vielfalt für ihre Unternehmen ein Arbeitsumfeld und Leitbild zu etablieren,
„das frei von Vorurteilen ist. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen Wertschätzung erfahren – unabhängig von Geschlecht, Nationalität, ethnischer Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexueller Orientierung und Identität“ (Charta der Vielfalt e.V., 2014, S. 3).
Akzeptanz und Vertrauen sind grundlegende Werte, die einen verantwortungsbewussten Umgang mit Menschen schaffen, was für alle Gesellschaftsbereiche gelten sollte. Anfang 2015 hat sich mit Thomas Sattelberger ein erster Top-Manager der deutschen Wirtschaft als homosexuell geoutet, nach seiner Karriere im Konzern versteht sich. Obwohl sich gerade Wirtschaftsunternehmen Themen wie Vielfalt, Gleichberechtigung oder Diversität gerne auf die Stirn schreiben, scheint dies in den Führungsetagen noch nicht angekommen. Kein Wunder, als Sattelberger 1975 seine erste Führungsposition bei Daimler antrat, stand seine sexuelle Orientierung mit dem „Schwulen“-Paragraphen (§ 175) noch unter offizieller Strafe. Erst vor elf Jahren wurde dieser aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. So mag es nicht verwundern, dass in den Köpfen vieler Menschen immer noch Barrieren und Vorurteile das Denken beeinflussen oder teilweise bestimmen.
Im Folgenden soll zunächst eine im Rahmen einer Masterarbeit bearbeitbare Ausgangslage sowie Problemstellung definiert werden, die eine Eingrenzung des Themenfelds ermöglicht und die das Grundgerüst für die anschließende wissenschaftliche Aufarbeitung des Problemfeldes schafft.
Gezielt sollen die Vorstands- und Aufsichtsratsgremien der deutschen Fußball-Bundesliga Vereine hinsichtlich der Vielfalt in ihrer Zusammensetzung analysiert werden. Dazu werden zunächst das Diversity Management (DiM) (vgl. Gliederungspunkt 2.1) sowie der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) (vgl. Gliederungspunkt 2.2) als Leitbilder vorgestellt, die den theoretischen Rahmen für die darauffolgende quantitative und qualitative Auswertung liefern. Weiterhin wird in der theoretischen Aufbereitung des Problemfeldes der aktuelle Forschungsstand berücksichtigt.
Die Arbeit soll zeigen, wie Vorstand und Aufsichtsrat in der aktuellen Saison zusammengesetzt sind. Zunächst geschieht dies über eine quantitative Auswertung des Ist-Zustandes der Saison 2013/2014 (vgl. Gliederungspunkt 3.2). Die Informationen hierzu sind zum Großteil bereits über die Homepages der Fußballvereine zugänglich. Der zweite Schritt, dem die Beschreibung der Untersuchungsmethodik (vgl. Gliederungspunkt 5) voransteht, besteht in der Durchführung von qualitativen Interviews, welche wiederum Aufschluss über die Gründe der aktuellen Zusammensetzung liefern sollen sowie einen Ausblick über mögliche bzw. nötige Veränderungen in der Zusammensetzung der Gremien aufzeigen können. Weiterhin werden die empirischen Untersuchungsergebnisse dargestellt, analysiert und verglichen (vgl. Gliederungspunkt 6). Der explorative Charakter des Forschungsfeldes begründet die Wahl der qualitativen Methode als primäres und grundlegendes Analyseinstrument.
Die theoretische Bearbeitung, in Kombination mit der statistischen Darstellung des quantitativen Ist-Zustandes und der entdeckenden qualitativen Interviewauswertung, soll die Ableitung eventueller Handlungsalternativen ermöglichen. Diese werden zusammen mit dem Untersuchungsdesign in der abschließenden Diskussion (vgl. Gliederungspunkt 7) einer kritischen Würdigung unterzogen. Es folgt eine Definition der eigentlichen Problemstellung.
Fußballvereine agieren mehr und mehr als professionelle Wirtschaftsunternehmen. Dies zeigt sich auch durch die Implementierung des dualen Organisationssystems (bestehend aus Aufsichtsrat und Vorstand), das mittlerweile auf Grundlage der Ausgliederung der Profifußballabteilung in mehreren Bundeligavereinen umgesetzt ist, obwohl dazu keine Pflicht besteht (vgl. Tab. 1). In vielen Wirtschaftsunternehmen sind die Grundsätze des DiM sowie der DCGK bereits seit mehreren Jahren als Führungsleitbilder fest verankert und positiv konnotiert[2]. Dies begründet die sportökonomische Relevanz des Themas.
Vor allem DiM bzw. Vielfaltsmanagement ist bereits Teil des Personalwesens und wird meist im Sinne von soziale Vielfalt konstruktiv nutzen verwendet. DiM hebt die individuelle Verschiedenheit der Belegschaft hervor, versucht diese positiv wertzuschätzen und für den Unternehmenserfolg nutzbar zu machen. DiM will eine produktive Gesamtatmosphäre im Unternehmen, soziale Diskriminierungen von Minderheiten vermeiden und die Chancengleichheit verbessern. Dabei steht die Gesamtheit der Mitarbeiter in ihren Unterschieden und Gemeinsamkeiten im Fokus (Aretz & Hansen, 2002).
Tab. 1. Rechtsformen in der 1. Fußball-Bundesliga, Saison 2013/2014 (eigene Tabelle, 2014).
In dieser Arbeit soll daher zunächst festgestellt werden, wie Aufsichtsrat und Vorstand im professionellen Fußball strukturiert sind. Beginnend gilt es die Hypothese zu prüfen, ob diese eher homogen und nicht im Sinne des Vielfaltsmanagement (bezogen auf bspw. Ethnie, Geschlecht, Alter, Behinderung, sexuelle Orientierung, Religion, Lebensstil) und den Vorgaben aus dem Kodex zusammengesetzt sind. Dies geschieht über die quantitative Auswertung der Gremienzusammensetzung. Daraufhin soll geprüft werden, ob es einen Unterschied zwischen Aufsichtsrat und Vorstand in der Beschaffenheit gibt. Dahingehend werden folgende Nullhypothesen geprüft:
- H01: kein Zusammenhang zwischen Position (Aufsichtsrat oder Vorstand) und Alter der Gremienmitglieder
- H02: kein Zusammenhang zwischen Position (Aufsichtsrat oder Vorstand) und Geschlecht der Gremienmitglieder
- H03: kein Zusammenhang zwischen Position (Aufsichtsrat oder Vorstand) und Nationalität der Gremienmitglieder
Sollten sich in der Struktur keine signifikanten Unterschiede zeigen, könnte man davon ausgehen, dass Ergebnisse, bezogen auf den Vorstand, auch auf den Aufsichtsrat übertragen werden können und man eine Grundgesamtheit bilden könnte. Daraus ergeben sich dementsprechend leitende Fragen, die über die qualitative Einzelfallanalyse in Form von Experteninterviews erschlossen und beantwortet werden sollen und anhand eines Modells veranschaulicht werden:
Fragestellungen/Forschungsinteresse
- Ist DiM in den Entscheidungsgremien im Fußball umsetzbar/sinnvoll?
- Bedarf es Veränderungen bezgl. der Zusammensetzung der Gremien?
- Welche konkreten Maßnahmen könnten dabei getroffen werden?
- Welche Besonderheiten gibt es im professionellen deutschen Fußball, die die aktuelle Zusammensetzung der Gremien begründen könnten?
- Welche Gründe gibt es, die gegebenenfalls dafür/dagegen sprechen, dass keine Frauen, jungen Menschen, andere Nationalitäten als Deutsch, Menschen mit Behinderung, Homosexuelle in Aufsichtsrat und Vorstand vertreten sind?
Dazu werden vier...