Dem deutschen Begriff Sportunterricht entspricht in Frankreich der Begriff « éducation physique et sportive » für körperliche und sportliche Erziehung. Meist benutzt man die Abkürzung « EPS. », wobei jeder Buchstabe einzeln ausgesprochen wird. Im Gegensatz zu Deutschland ist Frankreich ein zentralistischer Staat. Demnach ist das Schul- und Hochschulwesen im ganzen Land gleich und wird vom Erziehungsministerium (Ministère de l’Éducation Nationale) in Paris geregelt. Das Land wird jedoch in 28 so genannte Akademien unterteilt, die jeweils von einem « recteur » geleitet werden. Unterrichtsorganisa-tionen, Lehrpläne, Personalwesen und Haushaltsplanung werden zentral vom Ministerium bestimmt.
Im Wesentlichen lässt sich das Bildungssystem auch hier in Elementarschule (Vorschule = école maternelle, Grundschule = école primaire), Sekundarschule I und II (Collège, Lycée) und Hochschule (Université) unterteilen. Als Ganztagsschule organisiert (ca. 8.00-17.00 Uhr), liegt die Gesamtstundenzahl pro Jahr etwas höher als in Deutschland. In Frankreich findet, anders als in Deutschland, an den Collèges Mittwoch- und Samstagvormittag Unterricht statt. An den Lycéen ist mittwochs schulfrei.
In der Grundschule können dabei offiziell 5 Stunden pro Woche, im Collège und am Lycée 4 Stunden EPS durchgeführt werden, wobei eine Schulstunde 55 Minuten lang dauert. Auch hier liegt die tatsächlich erteilte Stundenanzahl jedoch niedriger. Am Collège werden bereits ab der 2. Klasse (cinquième) jeweils 3 Stunden und am Lycée noch 2 Stunden Sport unterrichtet (vgl. Treutlein und Pigeassou, 1997). Auch die reine Unterrichtszeit ist oft aus organisatorischen und örtlichen Gründen geringer.
Als besonders interessant ist die Rolle der insgesamt rund 9500 « Associations Sportives » (Schulsportvereine) unter der Leitung der « Union Nationale du Sport Scolaire », kurz UNSS, (Schulsportverband) zu erachten. Diese organisieren offiziell seit 1975 unter der Betreuung von hauptamtlichen Beauftragten u.a. Schulwettkämpfe, Turniere und Regionalsportfeste, sowie einmal pro Jahr die nationalen Schulsportspiele (Jeux Nationaux). Die « Jeux Nationaux » beinhalten in einem Jahr Individualsportarten und im nächsten Jahr Mannschaftssportarten und haben bis zu 8000 Teilnehmer (vgl. Sportunterricht, 48, Heft 12). Es handelt sich hierbei um eine freiwillige Schulsportaktivität, an der die Schüler und Schülerinnen ab dem Collège mittwochnachmittags, in fast allen sportlichen Disziplinen, teilnehmen können.
Die folgende Tabelle listet einige der angebotenen Sportarten mit Teilnehmerzahlen für das Schuljahr 2005/06 auf:[6]
Tabelle 2‑1: Angebote der UNSS und Anzahl der teilnehmenden Schüler 2005/06
Die französischen Sportlehrer werden daher zu ihren 17 Unterrichtsstunden pro Woche mit bis zu 3 Stunden zusätzlich für die Betreuung der « Association Sportive » und der Wettkämpfe im Rahmen der UNSS verpflichtet. Bemerkenswert ist außerdem, dass der Großteil der Wettkampf- und Schiedsrichter aus ausgebildeten Schüler und Schülerinnen besteht (vgl. Sportunterricht, 48, Heft 12). In dieser Gruppierung konnte im Jahr 2005/06 eine Steigerung von rund 40.000 auf 42.283 verzeichnet werden[7].
Da die französischen Schulen Ganztagsschulen sind und Sportvereine für Schüler und Schülerinnen daher nicht die gleiche Bedeutung haben können, wie in Deutschland, spielen schulische Wettkämpfe der UNSS eine große Rolle in Frankreich. Die Mitgliederzahlen steigen von Jahr zu Jahr an und man erreichte 2005/06 bereits die Millionengrenze. Um für Kinder und Jugendliche noch attraktiver zu werden, bemüht sich die UNSS, die verschiedensten Sportarten anzubieten und Trendsportarten aufzugreifen.
So findet man mittlerweile auch Yoga, Snowboarding, Skateboarding, Inline Skating, Surfen, Squash, Capoeira, etc. in den Programmen der UNSS (vgl. ebenda).
Bei der Verteilung der Sportarten liegen allerdings die Mannschaftsportarten nach wie vor an erster Stelle (vgl. Tabelle 2‑1 und Tabelle 2‑2):
Tabelle 2‑2: Verteilung der Sportarten in der UNSS 2005/06
Nachdem die Richtlinien des französischen Schulsports von 1967 den Sportlehrern viel Spielraum bei der Auswahl ihrer Ziele ließen und sich vor allem an die spitzensportliche Bewegung orientierten, entstanden in den 70er, 80er und 90er Jahren neue pädagogische Ansätze. In den 70er Jahren strebten Sportpädagogen nach einer stärkeren Berücksichtigung emotionaler, affektiver und sozialer Aspekte im Sportunterricht. Auch die Integration kognitiver und psychomotorischer Lernziele wurde mehr und mehr gefordert. Nach vielen Jahren der Diskussion über Bildungsziele und Bildungsinhalte entstanden im Jahre 1985/86 neue Richtlinien für den französischen Schulsport. Hier wurde nun das lernende Subjekt in den Mittelpunkt gestellt und die Didaktik ein neues Teilgebiet der Pädagogik. Des Weiteren wurden einheitliche Bewertungsmaßstäbe und Benotungskriterien entwickelt. Demnach fließt seither vor allem das Niveau der Voraussetzung, der Grad der Beherrschung motorischer Handlungen und das gezeigte Wissen des Schülers mit in die Bewertung ein. Hingegen war vorher der einzige Bezugspunkt das Bewegungsideal des Spitzensportlers (vgl. Pigeassou und Perrot 1999).
Ein anderer nicht minder zu beachtender Punkt in der Darstellung des französischen Schulsports ist die Qualifikation der Sportlehrer. Im folgenden Abschnitt wird darauf näher eingegangen.
In Frankreich gibt es drei Typen von Hochschulen: die Grandes Ecoles[8], die Universitäten und die Fachhochschulen[9]. Statt anhand des Numerus clausus wie in Deutschland selektiert man in Frankreich mittels zahlreicher Prüfungen während des Studiums. Außerdem wird in Frankreich lediglich ein Fach studiert. Mit Abschluss des Baccalauréat oder kurz bac[10] kann man bereits nach dem Grundstudium (2 Jahre) mit dem Diplom D.E.U.G.[11], auch « bac+2 » genannt, die Hochschule verlassen. Das dritte Studienjahr wird mit der Licence und das vierte Jahr mit der Maîtrise (Magister) beendet.
Nach den jeweiligen Abschlüssen müssen die Studenten für Lehramt einen so genannten Concours absolvieren. Der Concours ist eine Prüfung mit hohen Niveaus, die im Normalfall aus so vielen Kandidaten besteht, wie Stellen zu besetzen sind (vgl. Große 1996). Die Lehramtsstudiengänge wurden 1986 und 1991 neu reformiert und das Niveau abermals angehoben, so dass auch Vor- und Grundschullehrer seitdem, nach Abschluss der Licence, den Concours bestreiten müssen. Der Concours nach dem vierten Studienjahr wird C.A.P.E.S.[12] genannt und dient als gültiger Abschluss für das Lehren im Sekundarbereich. Die Staatsprüfung für Gymnasiallehrer und Dozenten an Hochschulen, auch l’agrégation genannt, setzt die Maîtrise als Zulassung voraus. Der hierfür existierende Concours wird als besonders schwer eingestuft und die Erfolgsquote liegt meist bei unter 20 Prozent. Alle Lehramtsstudenten durchlaufen somit das gleiche Grundstudium und spezialisieren sich erst nach 2 Jahren auf die jeweiligen Schulformen. Außerdem werden sie nach dem bestandenen Concours für 1 bis 2 Jahre als « professeur stagiaire » (Referendar) eingesetzt. Zwar sind die Gehälter der verschiedenen Lehrämter angeglichen, die Pflichtstundenanzahl ist jedoch verschieden. Während der Grundschullehrer 27 Stunden pro Woche halten muss, haben die Lehrkräfte der Sekundarstufe I und II 17 und Sportlehrer 17+3 Stunden pro Woche (vgl. Treutlein und Pigeassou 1997).
Eine weitere Studienrichtung, die sich in den letzten Jahren etablieren konnte, ist die Sportwissenschaft. Die Anerkennung der Sportwissenschaft erfolgte auch in Frankreich etwa um 1972, als die Verwissenschaftlichung des Sports, vor allem durch das Stattfinden der Olympischen Spiele, nach und nach vorangetrieben wurde. Seither entstanden neben dem traditionellen Lehramtsstudiengang weitere Studiengänge im Bereich des Sports.
Auf Grund des Ein-Fach-Studiums gibt es in Frankreich zudem eine bessere Ausdifferenzierung der Sportwissenschaften als in Deutschland. Bezüglich des Studiums im Fach Sport kann man sich nach den im Grundstudium vermittelten allgemeinen Grundlagen im Hauptstudium u.a. auf einen der folgenden Schwerpunkte spezialisieren:
- Lehramt
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