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E-Book

Banana Pancake Trail

Unterwegs auf dem vollsten Trampelpfad der Welt

AutorPhilipp Mattheis
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783644465718
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
«Ich fuhr Richtung Süden. Von nun änderte sich alles. Luft und Klima wurden warm, die Hotelzimmer billig, und vor allem: Ich traf Menschen. Sie alle waren zwischen 18 und 30. Sie trugen einen Rucksack. Sie reisten mit einem Buch. Sie gaben wenig Geld aus und trugen T-Shirts, die schon sehr lange keine Waschmaschine mehr gesehen hatten. Diese Menschen wollten alle das Gleiche: Pyramiden fotografieren, Vulkane besteigen, Bier trinken und am Strand herumliegen, Sex haben und weiterfahren. Ich war auf dem ?Banana Pancake Trail? angekommen. Das folgende Jahr über verließ ich den Pfad nicht mehr. Nun lernte ich jeden Tag junge Engländer, Schweizer, Schweden und Israelis kennen: in billigen, aber sehr gemütlichen und auf unsere Bedürfnisse zugeschnittenen Hotels, in klapprigen Reisebussen, auf den Stufen alte Tempel und am Strand. Wir staunten, feierten, liebten uns. Wir tauschten E-Mail-Adressen aus und vergaßen uns dann genauso schnell wieder, wie wir uns kennengelernt hatten. Wir schwammen zusammen im Mekong, schliefen in mexikanischen Hängematten und besuchten Haschischbauern in den Bergen Marokkos. Diese Leute waren überall, es gab kein Entkommen, ich war nie wieder allein.» Manche Menschen wandern auf dem Jakobsweg, um zu sich zu finden. Der moderne Traveller entscheidet sich jedoch für den Banana Pancake Trail - einen Wanderweg durch Südostasien, der nach den süßen Pfannkuchen benannt wurde, die die kleinen Herbergen entlang des Weges anbieten. Tausende von jungen Backpackern rennen auf dieser «Komfortstrecke» dem Mythos der Individualität hinterher. Philipp Mattheis war einer von ihnen. Er traf Menschen aus aller Welt, Hängengebliebene, Wohlstandskinder und echte Aussteiger - und erzählt mit Humor und einem Hauch Sarkasmus von seinen Begegnungen.

Philipp Mattheis, geboren 1979 in Bayern, schreibt für die Süddeutsche Zeitung, das SZ Magazin und jetzt.de.

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Leseprobe

Die Gleichgesinnten


Ort: Bangkok, Thailand

«Backpacker sehen alle gleich aus, je nach Aufenthaltsland gehüllt in einen Sarong, einen Lungi, eine Kurta oder in die bunte Posthippieuniform, die man an Tankstellen der Backpackerautobahn wie etwa Goa oder Chiang Mai billig erwerben kann.»

Ilija Trojanow[1]

Es ist dunkel geworden. Kleine Lichter funkeln, Rauch steigt aus fahrbaren Garküchen empor. Vlad zeigt auf zwei hochgewachsene Thailänderinnen mit exotisch-markanten Gesichtszügen, die mit einem angetrunkenen Backpacker reden. Die Frauen tragen beide ein knappes Kleid und ein tiefes Dekolleté. Ihre Lippen sind voll, ihre Augen unergründlich und schwarz.

«Das sind die Transen. Nachts kommen sie raus und machen sich einen Spaß daraus, Backpacker zu verführen, die zu betrunken sind, um auf die Größe ihrer Hände und Adamsäpfel zu achten.»

Der Mann – er ist jung, nicht älter als 25, groß, gut aussehend – lacht, und die zwei Frauen, die Männer sind, lachen zurück. Eine fährt mit ihrer Hand über seine Brust.

«Er ist gerade angekommen», sagt Vlad. «Er fühlt sich geschmeichelt, er denkt, das sind echte Frauen, und sie stehen auf ihn, weil er etwas Besonderes ist.»

Vlad ist Russe und 65 Jahre alt. Er sieht aus wie eine Mischung aus Mickey Rourke und Mahatma Gandhi. Er trägt ein nicht mehr ganz so weißes Muskelshirt, das seine weiß behaarten, sehnigen Arme nicht verdeckt. Vlad erzählt, dass er vor Jahren eine Bar in Odessa in der Ukraine hatte, eine Thailänderin kennenlernte, mit ihr nach Bangkok zog, sich wieder trennte, nach China fuhr, dort ein Import-Export-Geschäft für Louis-quatorze-Möbel eröffnete und später wieder alles verkaufte. Jetzt reist er nur noch.

Vor ihm steht ein angebissenes Sandwich aus weißem Toastbrot, Schinken und Ketchup. Er raucht und trinkt ein Singha-Bier. Er sagt, auf Reisen erlaube er sich, am Mittag das erste Bier aufzumachen. Vlad reist schon seit Jahren.

Wir sitzen auf roten Plastikhockern an einem Plastiktisch, in dessen Mitte ein Plastikbehälter steht. In dem Plastikbehälter sind Servietten aus sehr dünnem Zellstoff, die sich anfühlen wie Plastik, wenn man sie zwischen den Fingern reibt. Vor uns dröhnt «Porcelain» von Moby aus einer sehr großen Box. Die Musik ist übersteuert, die Bässe kratzen. Davor hat ein Thailänder einen Tisch mit schwarzgebrannten CDs belegt. Ab und zu schreit er einen Passanten an: «Mister, you buy music!»

Die meisten gehen vorbei, aber immer wieder wühlt jemand die unzähligen Tonträger durch, und dann beginnt eine Feilscherei in Pidginenglisch:

«300 baht.»

«Give me discount!»

«Okay, for you 280 baht!»

«Too expensive, I give you 150 baht.»

«Nooo, you crazy? 260 baht.»

«260 baht? No way! I give you 180.»

Das geht noch eine Weile so, bis sich beide auf 230 Baht einigen. Der Thai kramt aus einem Beutel, den er um den Bauch trägt, 20 Baht heraus, und stopft 250 hinein. Er steckt die CDs in eine dünne Plastiktüte, und der Schwede, Engländer oder Deutsche packt sie zu den dreieckigen Sitzkissen, dem Aschenbecher und dem Schachspiel, die er auf ähnliche Art und Weise erstanden hat, und geht weiter.

Ich bin vor fünf Stunden in Bangkok gelandet. Zwei Stunden lang saß ich in einem Taxi, das mich vom Flughafen zur Khaosan Road brachte, zwei weitere habe ich versucht, in einem fensterlosen Zimmer unter einem Ventilator zu schlafen. Es klappte nicht. Ich ging auf die Khaosan, setzte mich auf einen Plastikhocker und schaute mir Leute an. Die Dichte von Dreadlockträgern ist hier wahrscheinlich höher als sonst irgendwo auf der Welt. Jeder Zweite hat etwas Verfilztes auf dem Kopf. Bei manchen handelt es sich um drei Würste, jede dick wie ein Unterarm, deren Gewicht zum Verlust der vorderen Stirnhaare führte. Andere haben Hunderte kleiner Strähnen auf dem Kopf.

Dort, wo die Straße beginnt, sitzen kleine Thais auf Plastikhockern und flechten großen Schwedinnen und Schweizern, die ebenfalls auf kleinen Plastikhockern sitzen, Zöpfe ins Haar – eine Haartracht, die in den Top Ten der «dümmsten Frisuren der Welt» weit oben rangiert. Manche der Dreadlockflechter sehen ausgemergelt aus wie Fakire. Ihre Haut ist tiefbraun, gegerbt von Sonne, Meer und Wind. Ihre Augen leuchten charismatisch und gefährlich zugleich, als hätten sie Hölle und Himmel gesehen. Wahrscheinlich aber haben sie einfach schon lange keinen Sport mehr gemacht und etwas anderes als Reis mit Gemüse gegessen. Viele tragen bunte, sackartige Gewänder, die sie auf Einheimischenmärkten in Nordthailand oder Indien gekauft haben. Die Kleider sagen: «Seht her, mein Träger kennt mehr als diese eine Straße Bangkoks, er kennt die große weite Welt!» Manche haben nicht mal Sandalen an den Füßen, sondern latschen barfuß über den Asphalt, auf dem immer wieder Glasscherben, Reste von thailändischen Nudelgerichten und Plastiktüten liegen. Es sind Strandmenschen, die für den Strand gemacht, aber in der Stadt gestrandet sind. Sie reisen bald weiter, zurück ans Meer, um tagelang nichts zu tun und ihre Jonglierkünste zu perfektionieren. Dort brauchen sie nichts weiter als ein paar Euro täglich für eine Matratze, Reis und Bier.

Gruppen von Jungs tragen Cargo-Hosen und T-Shirts, auf die Labels lokaler Biermarken aufgedruckt sind. Ihre Haut glänzt von der schwülen Luft. Sie haben Glatzen oder lustige Locken, sie lachen und trinken viel. Sie sind ebenso nett wie offen. Sie scheinen zu denken: Alle Menschen, und seien sie noch so verschieden, mögen Bier. Die Verschiedenheit der Welt ist eingedampft auf die Verschiedenheit der Biermarken. Das T-Shirt sagt: «Wir verstehen uns mit jedem, egal aus welchem Land er kommt. Mit jedem, der auf dieselbe Art Spaß haben will wie wir.» Sie schwärmen von Laos, wo sie sich in einem Lkw-Reifen, eine Flasche Bier in der Hand, im Mekong treiben ließen, und von Vietnam, wo sie durch die Tunnel des Vietcong gerobbt sind.

Selten, aber doch hin und wieder, laufen Menschen an mir vorbei, die wie Indiana Jones gekleidet sind. Ihre Gesichter sind ernst, als erforschten sie gerade ein von der Zivilisation vergessenes Land, in dem zahlreiche Gefahren in Form von wilden Tieren und gerissenen Eingeborenen auf sie lauern. Um sich dagegen zu rüsten, tragen sie beigefarbene Tarnkleidung mit 157 Taschen und Geheimfächern. Um ihre Hüfte baumelt eine Wasserflasche, ihren Rucksack tragen sie nicht auf dem Rücken, sondern vor der Brust, um sicherzugehen, dass niemand heimlich ein Geheimfach öffnet und etwas klaut.

Drei winzige japanische Mädchen ziehen mit Hartschalenkoffern und Gucci-Sonnenbrillen vorüber. Einer ihrer Landsleute wird von einem Schweden gefragt, warum er ein T-Shirt trägt, auf dem ein Hakenkreuz prangt. Der Japaner lächelt nur und geht weiter.

«Die Japaner sind die Verrücktesten», sagt Vlad. «Die grinsen immer nur und können kein Wort Englisch. Dann kommen die Israelis. Die sind alle traumatisiert von ihrem Militärdienst und haben nur Feiern im Kopf. Außerdem treten sie nur in Gruppen auf. Die Skandinavier sehen am besten aus. Die Engländer saufen am meisten. Die Deutschen wollen immer alles richtig machen, damit sie niemand als Nazis beschimpft.»

Er beißt tatsächlich noch einmal in das Sandwich, das seit einer Stunde angeknabbert vor ihm liegt, und erzählt eine Geschichte aus einem japanischen Bordell. Er redet von früher, vom Anfang der neunziger Jahre, als er zum ersten Mal hierherkam. Veteranengeschichten, die immer klingen, als sei das «Früher» ein eigenes Land, das heute hermetisch von der Gegenwart abgeriegelt und unbereisbar ist. Als hätte der Erzähler das Privileg, an einem Ort gewesen zu sein, an den ihm niemand mehr nachfolgen kann.

1982 gab es nur zwei Hostels auf der Khaosan Road, Bretterbuden, in denen die Übernachtung nicht mehr als zwei Dollar kostete. Dreimal täglich Pad Thai, ein Nudelgericht, für denselben Betrag in einer der Garküchen gegenüber. Dann – Bangkok feiert seinen 200. Geburtstag – erscheint der erste Lonely Planet Thailand. Die 400  Meter lange Straße im Bangkoker Viertel Banglamphu, nicht allzu weit vom Königspalast entfernt, wird auf dem Reiseweg der Rucksacktouristen verzeichnet. Fünfzehn Jahre später ist sie bereits zum Inbegriff des Südostasienurlaubs überhaupt geworden.

Heute gibt es auf der Khaosan Fastfoodrestaurants und Hotels mit Swimmingpools auf dem Dach. Und Tausende Menschen – Thais, Inder, Bergvölker, die etwas verkaufen wollen, und Engländer, Israelis, Schweden, Australier und Japaner, die etwas kaufen wollen. Und auf dieser Straße gibt es alles zu kaufen, was man irgendwie brauchen könnte, wenn man mit dem Rucksack unterwegs ist: schwarz gebrannte CDs, Regenjacken, Frühlingsrollen, Bahncards, Taschenmesser, iPod-Boxen, Presseausweise, dreieckige Sitzkissen, Computer-Betriebssysteme und -Programme, Opiumpfeifen, Taschenlampen, Dildos, Aschenbecher, Armreifen, T-Shirts, Sackhosen, Rucksäcke, aus Holz geschnitzte Elefanten, Batiktücher, Moskitonetze, Klopapier, Regenjacken, Maiskolben, Schachspiele, Murakami-Romane und Wanderschuhe.

Kleine Reisebüros verkaufen Zug- und Flugtickets nach Chiang Mai, nach Poipet an der kambodschanischen Grenze, auf die Abhänginseln Koh Phangan und Koh Tao im Golf von Thailand und nach Rangun, Schanghai und Hanoi. Tagsüber flimmern in den Cafés die neuesten Hollywoodfilme über die Mattscheibe, und nachts trinken Billigreisende aus der ganzen Welt Red Bull mit Mekong-Whiskey aus Eimern. Alles ist billig. So billig, dass es selbst ein Tagesbudget von 15 Euro zulässt, sich neu einzukleiden. Die...

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