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The Travel Episodes

Neue Reisegeschichten von allen Enden der Welt

AutorJohannes Klaus
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783492977517
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Je näher die Autoren der Travel Episodes allen Enden der Welt kommen, desto klarer wird: es sind nicht nur die weißen Strände, die mystischen Tempelanlagen und aufregenden Metropolen, die sie immer einen Schritt weiter gehen lassen - es sind die Menschen. Die Bewohner der Länder, die sie besuchen, und die anderen Reisenden, die vielleicht Weggefährten werden oder sogar Freunde fürs Leben. Die Geschichten in diesem neuen Band erzählen von besonderen Begegnungen: Von heldenhaften Fischern an den Ufern des Yukon. Von einem schottischen Klosterboss in Thailand. Von einem verwegenen Maler in Mexiko. Von einer besonderen Seilschaft in den Weiten des norwegischen Gletschers. Und davon, dass man sich selbst nirgends so nahe kommt wie in der Fremde.

Johannes Klaus liebt das Reisen. Und Geschichten, die etwas von der Welt erzählen. Das aufregende und manchmal sogar lebensverändernde Abenteuer, die Erde zu bereisen, vermittelt er Tausenden Lesern als Herausgeber der Reiseblog-Plattform reisedepeschen.de und multimedial auf travelepisodes.com. Er wurde mit dem renommierten Grimme Online Award ausgezeichnet und gründete 2018 den Reisedepeschen Verlag. Johannes Klaus lebt mit seiner Familie in Berlin.

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Leseprobe

Marina und Julija haben mich an einem der seltsamsten Flughäfen der Welt abgeholt. Seltsam nicht deshalb, weil es ein unglaublich nebliger Tag war, an dem die Abendsonne orangefarben durch gelblichen Staub schimmerte. Auch die fünf riesigen ausrangierten Tupolew-Flugzeuge, monströse Relikte der Sowjetzeit, sind nicht der Grund, aus dem ich diese Landung niemals vergessen werde.

Der Grund ist das riesige Loch im Boden, direkt neben dem Flughafen. Ein gigantischer Krater, 500 Meter tief und 1200 Meter breit, der wirkt wie ein grauer staubiger Eingang zur Hölle. Sobald ich mein Gepäck vom Band genommen habe, bringen mich Marina und Julija zu einem Lada Priora, dessen Fahrer sich als Igor vorstellt, er ist Minenbau-Student, und schon brausen wir mit 70 km/h über Staubpisten zu dem Krater.

Die Luft riecht nach Schwefel und verbranntem Holz, die Abendsonne hängt tief am Himmel und taucht den staubigen Dunst ringsum in rötliches Licht.

Sonnenuntergangsromantik auf Apokalyptisch. Ein paar Metallstufen führen auf eine Aussichtsplattform, die auf einen Amphibienbagger aus Sowjetzeiten montiert wurde. An ihrem Geländer hängen Liebesschlösser mit den Namen von Hochzeitspaaren. Julija und Sascha. Schenja und Sweta. Wjatscheslaw und Maria. Der Bund fürs Leben, besiegelt am Abgrund, ein Treueschwur an der absurdesten Touristenattraktion des Planeten. Wo zum Teufel bin ich? Der Reiseführer antwortet: nichts.

Dem Lonely Planet ist Mirny ein bisschen zu lonely.

Und meine Antwort? Genau da, wo ich hinwollte. Mit meinen Gastgebern, die ich über die Webseite Couchsurfing.com kennengelernt habe, an einem Ort, der atemberaubend ungewöhnlich, aber noch weit davon entfernt ist, vom Massentourismus entdeckt zu werden. Für zehn Wochen reise ich für mein Buchprojekt »Couchsurfing in Russland« quer durch Russland, um solche Orte zu finden.

Ich habe genug Schönheit auf Reisen gesehen, um nun bereit für das andere Extrem zu sein. Nicht die Hässlichkeit einer mittelgroßen Kakerlake auf dem Küchenboden oder eines kaputten Autoreifens im Straßengraben. Peanuts. Ich meine Anti-Ästhetik von einem Ausmaß, dass einem die Sinne schwinden. Reisen als Horrorfilm oder Thriller, David Fincher statt Rosamunde Pilcher, Hässlichkeit mit Wow-Effekt, Hässlichkeit mit Geschichte.

Nur die Normalnull ist langweilig, interessant wird es an den Extrempunkten der Ästhetikskala. Alles eine Frage der Wahrnehmung, nach welchen Kriterien man ein Reiseziel auswählt.

»Willkommen am Arschloch der Welt«, sagt Marina, dann machen wir ein paar Selfies über dem Abgrund.

Auch wenn der lokale Spitzname etwas anderes impliziert, stehen wir vor einer Meisterleistung der Ingenieurskunst. Jahrzehntelange Arbeit, ausgefuchste Statik. Die zweitgrößte Anlage ihrer Art, weltweit. Und einen versteckten Schatz gibt es auch. Jahrzehntelang wurden aus der offenen Mine von Mirny Diamanten ausgebuddelt, ein paar Gramm Edelstein pro Tonne Erdreich. Glitzernde Reichtümer, verborgen irgendwo im Morast.

Schrägwände aus grauem Erdreich führen nach unten, ein paar rostige Rohre sind noch von den Förderanlagen übrig. Am gegenüberliegenden Kraterrand wirken die achtstöckigen Wohnblocks der Kleinstadt, die nur wegen der Diamantenfunde hochgezogen wurde, wie eine Legolandschaft.

Wegen solcher Orte mache ich das. Ich bin auf einer Reise quer durch Russland und versuche, das Land über die Einheimischen kennenzulernen. Ich wohne bei ihnen zu Hause, teile mit ihnen den Alltag, lasse mir ihre Welt zeigen. Und fühle mich dabei sehr willkommen, in einem Land, das derzeit nicht viel positive Presse bekommt. Ich fühle mich willkommen am Arschloch der Welt.

Alltag ist normalerweise das Gegenteil von Urlaub. Für mich nicht, mein Urlaub findet im Alltag der anderen statt.

Ich besuche mit Gastgebern ihre Stammkneipe, gucke mir Fotos ihrer letzten Reise an, erfahre etwas über ihren stressigen Tag im Büro oder die Trennung des besten Freundes. Innerhalb von zwei oder drei Tagen ler-ne ich ein Stück der Lebensgeschichte eines vorher Fremden kennen. Für einen Kaffee in der Wohnung von Pariser Studenten würde ich den Eiffelturm links liegen lassen, ein Kochabend mit einer Hippiefamilie kann erlebnisreicher sein als fünf Gänge beim Sternekoch.

Und während sich andere für den Adrenalinkick am Bungee-Seil von einer Brücke stürzen, kann ich mir im ÖPNV-Bus auf düsteren Vorstadtstraßen ausmalen, ob ich wohl diesmal an einen Ritualmörder geraten bin, der mich mit polierter Axt und bereits eingelassenem Säurebad empfängt. So Leute tummeln sich ja in diesem Internet, wie man hört.

Natürlich ist diese Art des Tourismus erheblich anstrengender, als all-inclusive nach Hurghada zu reisen oder per Kreuzfahrtschiff durchs Mittelmeer zu tuckern. Dafür geht es hier nicht um ein käufliches Produkt, nicht um eine Reise als Konsumgut, bei der man sich nachher fragt, ob man »für sein Geld« auch entsprechend viel Spaß, Fotomotive, Sonne und Entspannung bekommen hat.

Meine Begegnungen sind real, keine Inszenierung, ein gegenseitiges Geschenk von Zeit und Neugier. Und das ist mehr wert als alles andere.

Machatschkala, Dagestan – Im wilden Kaukasus

Tourismus spielt in Machatschkala keine Rolle – die meisten westlichen Länder raten von einem Besuch ab, weil die Provinz Dagestan als Terrorismus-Keimzelle gilt.

Machatschkala ist ein Ort, der auf keiner touristischen Landkarte verzeichnet ist. Mein Gastgeber heißt Renat, ist IT-Spezialist, 37 und hat seit drei Monaten den Führerschein. Er freut sich auf viel Fahrpraxis, als wir am nächsten Tag mit seinem schwarzen Lada Granta zu einer Spritztour aufbrechen.

Machatschkala ist ein Moloch, ein Chaos aus Schawarma-Imbissen und Kwas-Straßenständen, Hochzeitskleidshops und Moscheen, einem irren Neben- und Durcheinander an bunten Werbepostern. Nur ein paar Meter trennen die Tristesse grauer Sowjet-Wohnblocks von einem fröhlichen Strandspektakel am Kaspischen Meer mit Volleyballspielern, Picknickern, Badenden und muskelbepackten Ringkämpfern beim Training.

Die Stadt hat offiziell 600 000 Einwohner, aber nach inoffiziellen Schätzungen könnten es auch doppelt so viele sein, man hat da ein bisschen den Überblick verloren.

Wir halten uns Richtung Süden, erst wird die Landschaft immer grüner, dann immer bergiger. Am Straßenrand steht ein Polizeiposten. »Scheiße, bestimmt stoppen die uns«, sagt Renat. »Dann ist der Tag gelaufen. Die wollen alle Papiere, fragen nach unseren Kontakten und was wir hier wollen. Sie werden uns nichts glauben, egal, was wir antworten. Pure Schikane.« Sie stoppen uns nicht.

Renat hat grauschwarze Haare, braune Augen und einen dunklen Teint. Drei Jahre lang hat er in Langenfeld gelebt, in einem Asylbewerberheim in einer alten Militärbaracke. Damals kamen viele Flüchtlinge aus Dagestan nach Deutschland, weil die Region vom Tschetschenienkrieg betroffen war. »Ich habe mit den Zeugen Jehovas Deutsch gelernt, die waren so geduldig im Gespräch. Und mit WDR 4, Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren und solchen Liedern, da sind die Sätze nicht so kompliziert.« Ein pragmatischer Mensch.

Er hat sehr positive Erinnerungen an Deutschland. An die Joggingrunde um den See, die Au-pair-Mädchen aus dem Sprachkurs, die Korrektheit der Beamten, die Freiheit fernab der Regeln der Familie. »Eltern in Dagestan versuchen, dich bis zum Tod zu kontrollieren. Sie haben Angst, ihre Kinder einfach machen zu lassen, selbst wenn sie schon 50 oder 60 sind.«

Sein Asylantrag wurde abgelehnt, den Traum vom Neuanfang in Europa hat er aufgegeben. Nun hofft er, dass die Spannungen mit Moskau sich nicht verstärken. »Derzeit ist die Situation in der Ukraine kritischer, das ist besser für uns, wir sind nicht der Haupt-Feind.« Vor fünf oder sechs Jahren sei es viel heftiger gewesen, jedes Verbrechen, an dem jemand aus dem Kaukasus beteiligt war, sei zum Politikum geworden.

Wir fahren nun auf einem Schotterweg zwischen steilen Felswänden, die sich wie überdimensionale Fischflossen aus dem Grasland erheben. Den Straßenrand schmücken unfassbar vielfältige Blumenwiesen, die Luft riecht nach Zitrusfrüchten und der Matsch nach Kuhscheiße. Ein riesiger Adler zieht seine Kreise über uns. Renat fordert dem Auto alles ab, fährt durch tiefe Schlammpfützen und im Slalom um große Steinbrocken.

Ständig rechnen wir damit, dass es hinter der nächsten Serpentinenkurve ohne Allradantrieb nicht mehr weitergeht. Doch irgendwie schaffen wir es nach Balkhar. Das Bergdorf kann mit einer spektakulären Lage am Hang punkten und mit dekorativen alten Männern mit Hut, die auf dem Hauptplatz auf einer Bank sitzen. Winzige gebückte Babuschkas kommen mit Holzkörben voller Teeblätter von den Feldern zurück. An den Steinwänden der Häuser kleben müffelnde Kuhfladen zum Trocknen, um später als Brennmaterial zu dienen. Esel, Hühner und Katzen streunen herum, und der Muezzin ruft zum Gebet.

Ich finde das alles ganz zauberhaft, Renat ist weniger angetan. »Ich verstehe nicht, warum Menschen in der heutigen Zeit noch an so abgelegenen Orten leben«, sagt er. Auch das gehört zu den Erkenntnissen einer Couchsurfing-Reise: dass Einheimische oft das, was Reisende als romantisch und authentisch empfinden, erheblich nüchterner sehen.

Eine Woche später bringt mich ein Nachtzug nach Wolgograd, meine Gastgeber heißen Sergej, Krisia und Grischa und sind 55, 37 und drei Jahre alt. In seinem Couchsurfing-Profil zitiert Sergej einen Ausspruch seiner Mutter, der mir gut gefällt:

»Maximal ein...

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