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E-Book

Gebrauchsanweisung für Peru

AutorUlrike Fokken
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783492969468
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Von der Burg der Nebelkrieger im Norden bis zum Heiligen Tal der Inkas im Süden - Ulrike Fokken, die monatelang in Peru gelebt hat und regelmäßig dorthin zurückkehrt, führt uns quer durch ein Land, in dem die Cola quietschgelb aussieht, Lamas bunte Wollzöpfe tragen und der Traum vom Gepäckträger zum Millionär keine Worthülse ist. Leidenschaftlich erklärt sie uns, wie man auf die Anrede 'meine Königin' reagiert, warum in der Megacity Lima ein Bus dem Taxi vorzuziehen ist und weshalb man hier die besten Fischrestaurants der Welt findet. Und sie weiß, wieso Bäuerinnen in den Anden teure Smartphones besitzen, wo Schamanen mit Rauch und Rasseln heilen und wie der Spagat zwischen südamerikanischer Moderne und jahrtausendealten Traditionen gelingt.

Ulrike Fokken, 1964 geboren, hat Amerikanische Kultur- und Literaturgeschichte sowie Spanisch in München und Granada studiert. Sie arbeitete u.a. als Parlamentskorrespondentin für den Berliner Tagesspiegel und als Redakteurin für die taz. Von ihr erschienen Bücher zu Wirtschafts- und Umweltthemen sowie über Spanien. Zuletzt veröffentlichte die ausgebildete Wildnispädagogin »Wildnis wagen! Warum Natur glücklich macht«. 2012 und 2014 verbrachte sie mehrere Monate in Peru.

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Leseprobe

Peru bereichert die Welt


»Warum sind Sie nach Peru gekommen?«, fragen mich öfter Peruaner und sind wirklich an einer Antwort interessiert. Sie können sich nicht vorstellen, warum ich so viel Geld ausgebe, um von Europa nach Peru zu fliegen, wo doch alle Peruaner mit einem Hauch von Aufstiegswillen alles dafür geben würden, nach Europa zu kommen. Sie gucken dann nachdenklich, fast skeptisch, wenn ich sage, dass Peru ein einzigartiges Land mit einer faszinierenden Natur, überragenden Kultur und liebenswerten Menschen ist. So haben sie ihr Land, geschweige denn ihre Mitbürger noch nicht betrachtet. Selbstverständlich sehe ich Peru auch nicht so holzschnittartig, aber ich finde Peru wirklich sagenhaft spannend. Die Peruaner hingegen sind sich nicht einmal dessen bewusst, dass Peru der Welt mehr gegeben hat als manch anderes Land in Südamerika, mit dem die Peruaner sich voller Selbstzweifel immer wieder vergleichen. Aber was wäre die Welt ohne Kartoffeln? Wie wäre die Industrialisierung Europas ohne die Baumwolle aus dem Norden Perus verlaufen? Was würden die Italiener ohne Tomaten kochen? Kartoffeln, Erdbeeren, Tomaten, Kakao und jede Menge anderer Früchte und Gemüse, aber auch Naturfasern wie Baumwolle kommen ursprünglich aus Peru und sind in gewisser Weise kleine Dinge, haben jedoch das Weltgeschehen auf eine subtile und zurückhaltende Art beeinflusst.

Lange Zeit bevor die Spanier das Land für sich und ihre Zwecke entdeckten, haben die Menschen aus der Region des heutigen Peru bereits mit den Früchten ihrer Ackerbaukunst in Süd- und Mittelamerika gehandelt. Vor 7600 Jahren haben sie Erdnüsse aus Wildpflanzen kultiviert, mindestens 1600 Jahre zuvor hatten sie bereits eine Kürbisart gezüchtet, aus deren Kernen die Leute vermutlich schon Öl gewonnen haben. Wenn die Archäologen richtig liegen, bedeutet das, dass die Menschen im Norden Perus schon vor 9200 Jahren Äcker bestellt haben und sesshaft waren. Zu einer Zeit also, als unsere Vorfahren in Europa noch durch die Gegend zogen, Kräuter und Beeren sammelten und von der Jagd lebten.

Zum ganz großen Erbe der andinen Kultur gehören die Kartoffeln. Sie sind ein Geschenk des Landes an die Welt, denn kaum jemand möchte ohne Pommes frites, Kartoffelchips, Bratkartoffeln, Tortilla oder Kartoffelpüree leben. Kartoffeln haben Seeleute vor Skorbut bewahrt und viele Menschen in Preußen vor dem Hungertod gerettet. Nach der großen Kartoffelfäule Anfang des 19. Jahrhunderts in Europa haben die fehlenden Kartoffeln Hungersnöte ausgelöst und die Weltgeschichte beeinflusst. In deutschen Landen haben sie zu Hungeraufständen geführt, die als Vorläufer der Märzrevolution von 1848 gelten. Irland ist zur Zeit der großen Fäulnis so abhängig von der Kartoffel als Grundnahrungsmittel, dass mindestens eine Million Iren verhungern und zwei Millionen Iren nach Amerika auswandern, um dem drohenden Hungertod zu entgehen.

In Peru wachsen mindestens 4000 verschiedene Sorten Kartoffeln. Seit 7000 Jahren ziehen die Bauern in den Anden aus den wild wachsenden Kartoffelpflanzen an den kalten Hängen der Kordilleren die Kulturkartoffeln. Je nach Lichtverhältnissen, Regenmenge, Ost-West-Ausrichtung der Felder haben sie aus den wilden Kartoffeln die Sorte gekreuzt, die für ihre chacra, ihr Landstück, am besten geeignet ist und auf ihrem Land am besten gedeiht. Ein Bauer aus der Nähe von Ayacucho hat mir erzählt, dass er dann und wann in die Berge gehe und nach neuen Wildkartoffeln suche, wenn die Pflanzen seiner chacra einen schlappen Eindruck machten. Hat er eine passende Pflanze gefunden, buddelt er sie aus, nimmt ein paar der kleinen wilden Knollen, gräbt den anderen Teil der Pflanze wieder ein, bedankt sich und lässt ein paar Coca-Blätter als Geschenk für Pachamama, die Mutter Erde, dort. Die gefundenen Knollen zieht er zu Pflanzen und kreuzt sie in seine Kartoffeln, um sie widerstandsfähiger oder ertragreicher zu machen. Die indigenen Hochlandbauern wissen alles über Kartoffeln. Ihre Kenntnisse gehören ganz sicher zum Weltkulturerbe der Menschheit, auch wenn das offiziell noch nicht anerkannt ist. Das Kartoffelwissen ist nur einer von vielen Wissensschätzen der indigenen Peruaner, das sie mit unbeweglicher Miene für sich behalten und leise murmelnd an die nächste Generation ihrer Familie weitergeben.

Auf den Märkten von Ayacucho, Cajamarca, Cusco und der anderen Städte in den Anden türmen sich Dutzende Sorten verschiedener Kartoffeln. Die gelben Kartoffeln kommen mir aus Europa bekannt vor. Aber daneben gibt es die langen mit Riffeln, die aussehen wie gliedrige Finger. Die lilafarbenen und die schwarzen, gemusterte, schwarze mit gelbem Sternenzickzack im Inneren, riesige rote Kartoffeln und kastaniengroße braune. Und dann liegen da die weißen Knöllchen, die aussehen wie mehlige Kieselsteine und das Geheimnis des Überlebens in den Anden sind. Denn neben der Kartoffelzucht beherrschen die andinen Bauern auch die Kunst, Kartoffeln zu trocknen und so auf ewige Zeiten haltbar zu machen. Genau genommen sind die Kartoffeln sogar gefriergetrocknet, denn die Knollen werden nach der Ernte eingegraben oder in einen der eiskalten Flüsse gelegt. Im Winter frieren Boden und Flüsse, und die Kartoffeln verlieren ihre gesamte Flüssigkeit. Übrig bleibt allein die Stärke, weshalb die Knollen dann so pulvrig weiß wie Steinchen aus Maizena aussehen. »Sie müssen sie in warmem Wasser einweichen«, erklärt mir ein Händler im Mercado San Pedro, dem Zentralmarkt von Cusco. »Über Nacht. Und dann kochen, für Eintöpfe.«

Der Geist des Túpac Amaru


Peru hat die Welt bereichert, und die Peruaner könnten stolz sein auf ihr reiches Land, doch sie besitzen keinen glühenden Nationalstolz, der sie befeuert. Die Idee der Nation ist ihnen fremd. Peruaner sind daher auch nicht nationalistisch, von wenigen Ausnahmen abgesehen, wenngleich sie an den Fiestas Patrias, dem Nationalfeiertag, rot-weiße Stoffschleifen auf Staffeleien aufstellen und auch am Jackenrevers Flagge zeigen. Doch trotz rot-weißer Beflaggung fehlt dem peruanischen Vaterlandsschmuck die ideologische Schärfe, was das Miteinander in dem Vielvölkerstaat Peru vereinfacht. Das heißt nicht, dass es nicht auch Peruaner gibt, die rassistisch sind oder die je nach Herkunft und ethnischer Zugehörigkeit voller Meinungen und Urteile sind über Schwarze, Weiße, Indigene, Chinesen, amerikanische und europäische Gringos. Sie beurteilen die jeweils anderen, schotten sich in dem noch existierenden Kastensystem ab, das die Spanier vor ein paar Hundert Jahren eingeführt haben.

Die Peruaner wachsen nur unmerklich über die ethnischen Grenzen und die sozialen Gräben zu einer Nation zusammen. Der Staat ist den Peruanern daher auch fremd, was die Sache wieder schwierig macht, denn weil die meisten Peruaner mit der peruanischen Variante der staatlichen Ordnung nichts anfangen können, identifizieren sie sich auch nicht mit dem Staat. Mal davon abgesehen, dass der Staat in weiten Teilen des Landes gar nicht präsent ist. Dabei bemühen, ja beschwören Redner zu allen möglichen Anlässen nuestro Perú, unser Peru. Der Universitätsdekan eröffnet mit Tremolo in der Stimme das Musikfestival in »unserem Peru«, der Bürgermeister legt den Grundstein für ein Mädcheninternat im Namen von nuestro Perú, und Staatspräsident Ollanta Humala weitet die Gasförderung im Amazonas aus, damit nuestro Perú vorankommt. Wann immer ein Offizieller etwas öffentlich unternimmt und darüber redet, geschieht das, um nuestro Perú besser, moderner, stärker, stolzer zu machen. Als wenn das Possessivpronomen die fehlende Identifizierung mit Staat und Nation ausgleichen könnte.

Am mangelnden Nationalgefühl ändert auch der Nationalfeiertag nichts, der an die Unabhängigkeitserklärung des Landes von Spanien am 28. Juli 1821 erinnert. Der argentinische Offizier José de San Martín hatte damals auf dem Hauptplatz von Lima erklärt, dass Peru nun ohne Spanien auskomme. Um die Idee durchzusetzen, hatte er sich bei der Gelegenheit zum »Beschützer der Unabhängigkeit von Peru« ernannt. Unter Freiheit und Unabhängigkeit verstand San Martín allerdings etwas anderes als sehr viele Indígena im Hochland damals und auch heute. Die Ureinwohner hatten sich in den Jahrhunderten davor mehrfach gegen die spanischen Besatzer aufgelehnt und versucht, sie aus ihrem Reich des Tahuantinsuyu, dem Imperium der Inka, zu vertreiben. Die meisten Rebellen gegen die Spanier sind vergessen, doch ein Name löst noch heute bei vielen Indígena ein bewunderndes Kopfnicken aus: Túpac Amaru II., Nachfahre des letzten sapa inca, des Inka-Herrschers Túpac Amaru I. Einige indigene Peruaner warten auf die Rückkehr, ja Wiedergeburt des Inka und knüpfen weiterhin Hoffnungen an die historische Person.

Der erste Túpac Amaru war 1572 vom spanischen Vizekönig Toledo hingerichtet worden, der damit die Herrschaft der Inka endgültig beenden wollte. 1741 wird dann in einem Weiler in der Nähe von Cusco José Gabriel Condorcanqui geboren, der sich später Túpac Amaru II. nennt. Condorcanqui geht auf eine gute Schule in Cusco, die die Spanier für die Kinder des Inka-Adels eingerichtet haben. Denn um das Riesenreich überhaupt einigermaßen im Griff zu haben, sind die Spanier auf die gesellschaftlichen Strukturen der Inka angewiesen und übernehmen sie. Sie brauchen die inkaische Oberschicht, um zu regieren. Sie bilden daher die Kinder aus, was vor allem bedeutet, dass stramme Katholiken aus ihnen werden sollen. In Cusco lernt der junge Condorcanqui lesen und schreiben und liest offensichtlich alles, was ihm in die Finger kommt, und nicht nur die Bibel.

Besonders beeindrucken ihn die Schriften des Inca...

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