Komplexe Computermodelle liefern Hinweise auf das Aussterben der Neandertaler

New York / Heidelberg, 17. November 2011

Es gibt rechnergestützte Modelle, die nachweisen, wie Hominiden-Gruppen kulturell und biologisch auf Klimaveränderungen während der letzten Eiszeit reagiert und sich entsprechend weiter entwickelt haben. Sie liefern auch neue Erkenntnisse über das Aussterben der Neandertaler. Einzelheiten der komplexen Modellversuche, die von der Arizona State University und der University of Colorado Denver durchgeführt wurden, erscheinen in der Dezember-Ausgabe des Springer-Fachjournals Human Ecology, die ab dem 17. November 2011 online verfügbar ist.
„Um die Humanökologie besser zu verstehen und insbesondere, wie sich die menschliche Kultur und Biologie gemeinsam bei Jägern und Sammlern des spätpleistozänen West-Eurasiens (vor ca. 128.000-11.500 Jahren) entwickelte, haben wir theoretische und methodische Rahmenbedingungen entworfen, die Informationen aus drei Evolutionssystemen berücksichtigten: Biologie, Kultur und Umwelt“, sagt Michael Barton von der Arizona State University, Erstautor der Studie.
„Ein wissenschaftlich interessantes Ergebnis dieser Forschung, bei der die kulturell und umweltbedingten Veränderungen bei der Landnutzung untersucht wurden, ist eine These, wie die Neandertaler ausgestorben sein könnten. Nicht weil sie etwa weniger gut an die veränderten Bedingungen angepasst waren als alle anderen Hominiden während der letzten Vergletscherung, vielmehr entsprach ihr Verhalten dem des modernen Menschen“, fährt Barton fort.
„Lange Zeit glaubte man, dass die Neandertaler durch ‚fittere‘, moderne Menschen verdrängt wurden und sich nicht anpassen konnten“, sagt Co-Autor Julien Riel-Salvatore von der University of Colorado Denver. „Wir ändern diese Hauptaussage. Neandertaler waren genauso anpassungsfähig und in gewisser Weise einfach Opfer ihres eigenen Erfolgs.“
Das interdisziplinäre Wissenschaftlerteam verwendete archäologische Daten, um die Verhaltensänderungen in West-Eurasien über einen Zeitraum von 100.000 Jahren zu verfolgen. Die Wissenschaftler konnten aufzeigen, dass die Menschen wahrscheinlich deswegen mobiler wurden, weil sie auf die veränderten Umweltbedingungen reagieren mussten. Barton zufolge bewegten sich Jäger und Sammler – darunter auch die Neandertaler und die Vorfahren der modernen Menschen – während der wesentlichen Veränderung des Weltklimas in einem viel größeren Umkreis in Eurasien, um Nahrung zu finden.
Die Wissenschaftler verwendeten Computermodelle zur Untersuchung der evolutionären Konsequenzen dieser Veränderungen, einschließlich der Änderung bei den Wanderungen der Neandertaler und der modernen Menschen, was häufiger zur Interaktion und Kreuzung der beiden Gruppen führte.
Gemäß Riel-Salvatore ergeben sich aus der Studie weitere Beweise dafür, dass die Neandertaler flexibler und einfallsreicher waren als bisher angenommen.
„Die Neandertaler haben bewiesen, dass sie leicht mit Veränderungen zurecht kamen. Als sie auf die zahlenmäßig überlegenen modernen Menschen trafen, passten sie sich wieder an“, erläutert Riel-Salvatore. „Wahrscheinlich betrachteten die modernen Menschen die Neandertaler als mögliche Partner. Dies führte dazu, dass die Neandertaler mit der Zeit als physisch erkennbare Bevölkerung ausstarben.“
Die Schlussfolgerung der Wissenschaftler beruht auf einem Computerprogramm, mit dem ein Zeitraum von 1.500 Generationen simuliert wurde. Es zeigt, dass die Neandertaler und die modernen Menschen Jahr für Jahr ihre Einzugsgebiete ausweiteten, der Neandertaler wurde dabei allmählich von den zahlenmäßig überlegenen modernen Menschen ‚geschluckt‘.
„Wir verglichen die Ergebnisse des Modells mit den empirischen archäologischen Aufzeichnungen und kamen zur Schlussfolgerung, dass die Neandertaler und die modernen Menschen ihr Verhalten in der Art und Weise anpassten, wie wir es modelliert hatten“, erklärte Barton. „Des Weiteren sagt das Modell die niedrige Beimischung der Gene der Neandertaler voraus. Dies ist das Ergebnis neuester genetischer Studien, die erst jetzt veröffentlicht wurden.“
„Mit anderen Worten: Erfolgreiche Verhaltensanpassungen an die erschwerten Umweltbedingungen führten zum Aussterben der Neandertaler und anderer nicht-moderner Gattungen, über die wir wenig wissen, wobei diese Gruppen gleichzeitig einen genetischen Beitrag zur modernen Bevölkerungen leisteten“, fügt Barton hinzu.

Quelle
Barton CM et al. (2011) Modeling Human Ecodynamics and Biocultural Interactions in the Late Pleistocene of Western Eurasia. Human Ecology. DOI 10.1007/s10745-011-9433-8

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