ein Junge sitzt vor SteckwürfelnDer Begriff „Dyskalkulie“ ist lange nicht so verbreitet wie „Legasthenie“. Während man sich unter zweiterem eher etwas vorstellen kann und die Begrifflichkeit mit einer Lese-Rechtschreibschwäche assoziiert wird, ist das Fremdwort für „Rechenschwäche“ (= RS) noch nicht vollständig in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen.

Eine Rechenschwäche ist aber nicht unproblematischer und kommt daher auch nicht weniger häufig vor.

Grundschullehrer haben einen straffen Lehrplan und oft eine Schulklasse mit über dreißig Kindern zu unterrichten. Benötigt ein Grundschulkind mehr als die gegebene Zeit Mengen mit Zahlen zu verknüpfen bilden sich demnach Wissenslücken. Während die anderen Mitschüler sich mit der Lehrkraft den darauffolgenden Thematiken beschäftigen, kommt es daher vor, dass Schüler mit einer Rechenschwäche häufig dem spezifischen Unterricht nicht mehr folgen können.

 

Da es in Kindergärten kaum einen verpflichtenden Lehrplan, lediglich Pläne dienend zur Orientierung gibt, werden in diesen Bildungseinrichtungen Impulse durch die Pädagogen gesetzt um den Kleinkindern das Lernen in Eigenverantwortung zu ermöglichen.

In dieser Phase können einige Kleinkinder bereits identifiziert werden, die wahrscheinlich Lernschwächen in sich tragen.

Eine systematische Kommunikation zwischen den Kindergärten & Klasse 1 Grundschule findet auf flächendeckender Basis meist nicht statt.

Nur in Einzelfällen kennen sich Erzieher und Grundschullehrer persönlich und sind darüber hinaus selten in freiwilligem Austausch um einen stufenlosen Übergang in die Schule zu gewährleisten.

Kinder jenen Alters bemerken eine Überforderungssituation zwar selbst überwiegend bspw. an ihren Emotionen, tun sich dennoch schwer ihren Missstand zu kanalisieren.
Und selbst bei erfolgreicher Kanalisation des Missstandes fällt es ihnen umso schwerer sich Erwachsenen bezüglich ihrer Problematik mitzuteilen.

 

Ein erfahrene GS-Lehrkraft der 1. Klasse bemerkt diese Schwierigkeiten des einzelnen Schülers bereits nach wenigen Wochen. Sie ist allerdings nicht darauf spezialisiert dem Kind effektiv zu helfen. Allen voran fehlt es der Lehrkraft an dafür freigegebenes Stundendeputat.

Erst viel später macht sich das Unverständnis darüber nicht richtig mit Zahlen und Mengen umgehen zu können durch einige erkennbare Indizien bemerkbar.

 

Eine Rechenschwäche zeichnet sich nicht unbedingt erst im Umgang mit größeren Zahlen ab. Probleme und Schwierigkeiten können bereits bei kleinen Zahlen (unter 10), sowie der Ausführung einfacher Rechenoperationen, auftreten.
Erkennungskriterien einer Dyskalkulie sind z.B. das Rechnen mit den Fingern, Probleme mit der Überschreitung der Zahl 10, wenn man eine oder mehrere der vier Grundrechenarten (* diese sind: Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division) nicht beherrscht oder das 1×1 nicht zuverlässig anwenden kann.

 

Manche Leidenden haben eifrig das 1×1 auswendig gelernt und können es jederzeit (wie aus der Pistole geschossen) abrufen, dazu aber keinerlei Verknüpfung in den entsprechenden Hirnarealen abgespeichert um das 1 x 1 „flexible“, anzuwenden.

 

Ebenso ein typischer Hinweis der Dyskalkulie kann das Hochzählen im Kopf sein, möglicherweise visuell erkennbar durch das Verdrehen der Augen und leichten Bewegungen des Kopfes.

 

Die Mehrzahl dieser Schüler versagen beim Bruchrechnen, wobei die Anwendung aller 4 Grundrechenarten hierfür unbedingt notwendig ist.

Die Schüler können durchaus plausibel verstehen wie die Aufgabe zu lösen ist, scheitern jedoch jedes Mal erneut an den zahlreichen Rechenfehlern, die sie auf dem Lösungsweg unfreiwillig machen.

 

In der weiterführenden Schule zeigt sich eine Rechenschwäche z.B. auch wenn der Taschenrechner nicht nur für die Lösung einer komplexen Aufgabenstellung verwendet wird, sondern auch um augenscheinlich einfache Rechenschritte auszurechnen.

 

Zeichnen sich Schwierigkeiten beim Lösen von Textaufgaben (Anmerkung: die Lesefähigkeit spielt hierbei eine Rolle und muss zusätzlich berücksichtigt werden) oder gar Brüchen ab, liegt es nicht weniger häufig am mangelnden Stoffverständnis, sondern höchstwahrscheinlich ist die Ursache eine klassische RS.

Zusammengefasst kann man also davon ausgehen, dass nicht immer das Stoffverständnis im Unterricht die Ursache einer miserablen Note im Fach Mathematik ist, sondern eine Dyskalkulie häufig im Spiel sein kann.

 

Das Kind bzw. der Mensch, der an Dyskalkulie leidet ist also nicht faul oder dumm. Seine Intelligenz spielt, wie bei der Legasthenie, keine Rolle. Das Kind oder der Jugendliche reagiert je nach Temperament mit Trotz, Clownerien oder gar der völligen Resignation.

Was auch öfters vergessen wird ist, dass die von uns benutzten Symbole für die zugehörigen Zahlen für Menschen mit RS äußerst abstrakt wirken. Die entsprechende Menge wird also nicht mit den uns bekannten aus dem Arabischen stammenden Zahlen-Symbolen verknüpft.

 

Dyskalkulie sagt (wie auch eine Legasthenie) nichts über die Intelligenz der Betroffenen aus. Oftmals befinden sich unter Betroffenen sogar hochbegabte Menschen mit überdurchschnittlichem IQ.

 

Experten gehen davon aus, dass weltweit 15-20% der Bevölkerung unter der Teilleistungsstörung Dyskalkulie leiden. Die offiziellen Zahlen sind niedriger, aber die Dunkelziffer umso höher.
Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) sieht in der Dyskalkulie eine schulische Entwicklungsstörung.

Neurobiologen gehen von einem biologischen Ursprung aus. Demnach handelt es sich um ein kompensierbares Verständnisproblem im arithmetischen Grundlagenbereich (Mächtigkeitsverständnis, Zahlbegriff, Grundrechenarten, Dezimalsystem).
Die Betroffenen machen in systematisierbarer Art und Weise Fehler, die auf Verinnerlichungsproblemen beruhen.

 

Numerische Fähigkeiten sind größtenteils unabhängig von der Intelligenz und den vorhandenen Sprachkompetenzen. Man spricht von einem autonomen Bereich der der kognitiven Begabung.

 

Sind Menschen von einer Rechenstörung betroffen zeigen sie im Vergleich zu Anderen eine signifikant reduzierte Aktivität in jenen Hirnregionen, die zum neuronalen Netz der Mengen- und Zahlenverarbeitung gehören.

Üblicherweise wird diese Region automatisch beim Lesen einer Ziffer aktiviert.

Eine genetische Komponente spielt scheinbar auch eine Rolle. Eine Vererbung gilt somit als sehr wahrscheinlich.

Sauerstoffmangel bei der Geburt oder eine Frühgeburt können als Bremse bei der Kindesentwicklung wirken. In diesem Fall bei der Heranreifung der Rechenfunktion.

 

Folgeerscheinungen einer Dyskalkulie können verheerend sein und bis zu psychisch bedingten körperlichen Beschwerden und einer totalen Schulverweigerung reichen.
Eine auffällige Angst vor Mathematik und der Verlust von Selbstvertrauen mit dem Einhergehen von Schuldgefühlen zeichnen sich oft ab.

 

Wichtig zu verstehen ist aber, dass eine Rechenschwäche überwindbar ist, wenn man vor allem versteht, dass die Areale im Gehirn, die für die Verknüpfung von Mengen und Zahlen verantwortlich sind, ein offenes System bilden.

 

Dieses offene System kann man sich wie ein Fischernetz mit zu großen Maschen vorstellen, durch das die Zahlen und Mengen durchflutschen.
Um synaptische Verbindungen nachträglich zu erschaffen kann man innerhalb dieses offenen Systems die Zahlen mit den Mengen durch sensorische Prägung verknüpfen.

 

Besonders wichtige Vehikel zur Bekämpfung einer RS sind außerdem Spaß & Spielfreude.

 

Der Schriftsteller Arthur Schnitzler (1862-1931) sagte einst: „Wir spielen alle, wer es weiß, ist klug.“. Spielen ist in der Geschichte der Menschheit also essentiell und was natürliches und unterstützt die sensorische Einprägung zusätzlich erheblich.

 

1991 hat Joe Kennedy in Tuttlingen die Kennedy-Schule gegründet und eine Methode entwickelt, die nicht nur in den Räumlichkeiten der pädagogischen Einrichtung angewendet wird, sondern auch außerhalb zuhause effektiv sind. Neben der klassischen Nachhilfe erschuf er das „Rechen-Training“ (kurz „RT“) und revolutionierte damit einen Bereich indem kaum wirkliche Hilfestellung stattfindet.

 

Im Rechentraining finden spielerische Prozesse statt, die eine heilpädagogische Wirkung auf das Gehirn haben und über die Sinne Sehen, Hören, Tasten die die effektive Speicherung vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis verlagern und sichern.

 

Neben der lokalen Implementierung des „Rechentraining“ und „Lese-Rechtschreib-Training“ verfasste er im Jahr 2014 (2. Ausgabe 2018) ein Nachschlagewerk mit dem Titel „Nie wieder Horrordiktate!“ indem ein Kapitel auch die Rechenschwäche beinhaltet.

 

Zusammen in Kooperation mit den Lehrkräften der Kennedy-Schule wurde über 3 Jahrzehnte in Tuttlingen ein großer Fundus an Rechenspielen entwickelt, die alle darauf spezialisiert sind Mengen mit Zahlen nachhaltig zu verknüpfen.

 

Spielt man diese Spiele wird man feststellen, dass es hier nicht um komplizierte Rechenoperationen geht, sondern kleinschrittig die Mengen-Zahlen-Verknüpfung biologisch vollständig zu sichern.

 

Sicherung dieser Automatisierung von Mengen und Zahlen spiegelt sich in der Steigerung der Rechenfähigkeit wider.

Kurzum: Das Kind schreibt bessere Noten. Und zwar selbstständig.

 

Die Kennedy-Schule findet man unter www.kennedy-schule.de im Internet.
Ausführliche Informationen über die „Kennedy-Methode“ und der Lösung bei LRS (sowie ein Kapitel über RS) im Buch „Joe Kennedy – Nie wieder Horrordiktate!“ (ISBN: 978-3-947572-34-2)

 

Eine Publikation von Crischa Wagner © 2020