Marceline Selm, Autorin des im Verlag Wagner erschienen Buches „Das zweite Leben“ erzählt Lebensgeschichten von ganz gewöhnlichen Menschen, wenn auch die Lebensumstände manchmal ganz schön außergewöhnlich zu sein scheinen.

„Ich selber bin davon überzeugt, dass besondere Lebenssituationen, zusammen mit einer gewissen Konstellation, zu dieser Krankheit führen können.
Trotzdem muss Krebs keinesfalls ein Todesurteil bedeuten. Es gelingt heute vielen Menschen den Krebs entgültig hinter sich zu lassen und geheilt zu werden.“Die Autorin über sich:

Wahre Lebensgeschichten haben mich schon immer interessiert, und ich denke, dass dies noch anderen Menschen so geht. Daraus entstand der Wunsch, spezielle Lebensgeschichten in Form eines Buches nieder zu schreiben. So ist „Das zweite Leben“ entstanden.
Es soll aber nicht bei dem einen Buch bleiben. In Kürze werde ich mein zweites Buch: „Die Biografie einer Unbekannten“, fertig stellen.

Auszug aus „Das zweite Leben“:

Ich habe früher (vor meiner Krebserkrankung) gedacht, dass es  jemand, der plötzlich und unerwartet stirbt, viel besser hat als ein Krebspatient. Die betroffene Person weiss ja dann nichts von ihrem Schicksal. Krebspatienten sah ich immer mit der einen Hälfte des Sarges umhergehen, im Ungewissen, wann die zweite Hälfte hinzukommt. Heute sehe ich es anders. Wir Krebspatienten bekommen die Chance den Tag ganz bewusst zu leben. So als wären da nur noch wenige Zeiten. Wir dürfen uns ganz bewusst mehr zuliebe tun, haben sozusagen ein Alibi dafür.

Man sollte jedenfalls die Krankheit nutzen und nicht einfach so weiter machen wie vorher. Das Leben ist schliesslich einmalig, man kann es nicht einfach wiederholen, wie eine Klasse oder dergleichen. Wenn es vorbei ist, dann ist es vorbei. Endgültig, es gibt kein Wiederholen.

Aber niemand weiss mit absoluter Gewissheit, wie viel an Leben noch bleibt. Nicht einmal der behandelnde Arzt. Es gibt natürlich Statistiken, die Prognosen aufzeigen, doch jeder Mensch ist individuell, einmalig. Deshalb passiert es des Öfteren, dass jemand mit einer relativ guten Prognose nur kurze Zeit weiter lebt, nachdem Krebs diagnostiziert wurde. Eine andere Person, die man vielleicht bereits aufgegeben hat, aber trotz der widrigen Umstände überlebt und sehr alt wird.  Es gibt also immer Ausnahmen. Wer sagt uns, wer eine Ausnahme ist und wer nicht? Niemand, weil es niemand im Vorfeld wissen kann. Unser mangelndes Vertrauen hindert uns daran zu glauben, dass gerade wir, die Krebspatienten, eine Ausnahme sind. Schliesslich sind Ausnahmen ja selten, was ja dieses Wort bereits aussagt. Vielleicht kennen wir auch andere Menschen, die mit der gleichen Krebsart nicht oder nicht lange überlebt haben. Vielleicht hat uns auch der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin mit einer Prognose konfrontiert. Vielleicht wollten wir auch lieber an den bevorstehenden Tod statt an das Leben glauben…..

Zu diesen negativen Einstellungen stehen die Betroffenen natürlich vordergründig nicht. Man gibt sich nach aussen optimistisch, man leugnet seine Angst und seine Gefühle, man ist ja schliesslich stark!

Viele Krebspatienten ziehen sich nach der niederschmetternden Diagnose zurück. Die Öffentlichkeit wird gemieden, man geht nur noch selten aus dem Haus.

(…)

Daheim legte ich mich sofort hin, denn etwas „kaputt“ fühlte ich mich schon. Trotzdem kam ein warmes Glücksgefühl in mir hoch. Ich   d  u r f t e  diese Behandlung machen. Ich hatte diese Möglichkeit bekommen meinen Körper eventuell vom Krebs zu heilen. Noch vor wenigen Jahrzehnten mussten Menschen mit dieser, meiner, Krankheit einfach sterben. Meistens hat man gar nicht herausgefunden, was die Menschen eigentlich gehabt hatten. Sie wurden schwächer und schwächer, bis sie schliesslich starben. So gesehen hatte ich unheimliches Glück, das war ich mir in diesem Moment bewusst. Ich spürte eine tiefe Dankbarkeit gegenüber dem Fortschritt. Eine grosse Zufriedenheit stellte sich in meinem Geist ein. Es fiel mir plötzlich ganz leicht mich meiner Abgeschlagenheit hin zu geben, sie zu akzeptieren, als Teil meiner möglichen Heilung. Ich war für den Notfall mit den richtigen Medikamenten versorgt und die Natelnummer meiner Ärztin hatte ich ebenfalls. Mit dieser Gewissheit ging ich schlussendlich ins Bett und es störte mich nur wenig, dass der Schlaf nach drei Stunden vorbei war. Ich war zufrieden, denn ich hatte erwartet, überhaupt keinen Schlaf zu finden. Nun schaute ich einfach ein bisschen fern. So in der Nacht, das war auch neu für mich. Zum Lesen fehlte mir die Energie.

Das Glas ist halb voll oder halb leer? Ich versuche meistens ein halb volles Glas zu haben, es lebt sich besser damit.

Marceline Selm
Dorfstrasse 13
9305 Berg (Schweiz)

http://www.marcelineselm.ch/